Pressemitteilung: Scholz verschleiert wahres Ausmaß der Armut

Gepostet am Donnerstag, den 22. Mai 2008 um 11:27 in Armut/ Grundsicherung,Pressemitteilung

Zu der Diskussion um die Höhe der Armutsquote erklärt der Frankfurter Armutsforscher und Bundestagsabgeordnete Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn:

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales behauptete gestern, dass der 3. Armuts- und Reichtumsbericht die „höchstmögliche Datensicherheit“ bietet. Damit behauptet er wissentlich die Unwahrheit. Die verwendeten Daten des EU-SILC sind methodisch unzulänglich und unterschätzen deutlich den Anstieg der Armut in Deutschland. Auch die Betroffenheit verschiedener Gruppen von Armut wird falsch wieder gegeben. Die Armut von Kindern und Erwerbstätigen wird auf der Grundlage der EU-SILC-Daten deutlich unterschätzt.

Ich selbst habe für den Armuts- und Reichtumsbericht im Auftrag des Bundesministeriums ein Gutachten erstellt, in dem ich untersucht habe, welche Ursachen die Differenz der Armutsquoten zwischen den 13% auf Basis des EU- SILC und den 17% auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) hat und dabei zweifelsfrei festgestellt, dass es sich bei den Daten des EU-SILC für 2005 um eine nicht-repräsentative Datengrundlage handelt. Mit den Daten des EU-SILC wird die Armut in Deutschland deutlich unterschätzt. Mein Gutachten liegt dem Bundesministerium seit Herbst letzten Jahres vor. Die Ergebnisse sind also bekannt.

Die EU-SILC-Daten widersprechen in großen Teilen anderen verfügbaren Statistiken und haben eine Reihe methodischer Mängel. Die Daten basieren auf einer rein schriftlichen Befragung ohne Interviewer. Dadurch wird die Gruppe der Ausländer verzerrt und die Geringqualifizierten und auch Familien mit kleinen Kindern werden nicht ausreichend erfasst. Auffällig ist, dass Paare ohne Kinder eine höhere Armutsquote hätten als Paare mit Kindern und die Armutsquote mit einem Kind höher ist als die mit zweien. Kinder unter 10 Jahren wären nach diesem Datensatz unterdurchschnittlich von Armut betroffen, während die der Älteren über 65 Jahre eine überdurchschnittliche Armutsquote aufweisen. Diese offensichtlich unplausiblen Ergebnisse, die allen anderen verfügbaren Statistiken widersprechen, machen deutlich, dass der Datensatz, zumindest für das Jahr 2005, in dem er das erste Mal erhoben wurde, für die deutsche Armutsberichterstattung ungeeignet ist. Davon unbenommen ist, dass es durchaus sinnvoll ist, mittelfristig den Datensatz zu Grunde zu legen, der auch für die Europäische Armutsberichterstattung verwendet wird. Dazu müssen aber die festgestellten methodischen Mängel beseitigt werden.

Trotz Kenntnis dieser methodischen Mängel wurde das EU-SILC aber bereits für diesen Armutsbericht zur Grundlage des Armutsberichts gemacht. Durch die prominente Veröffentlichung der darauf basierenden Armutsquote von 13% wird nun der Öffentlichkeit der Eindruck suggeriert, dass die Armutsquote seit dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht mit einer Quote von 13,5% (auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) nicht gestiegen sei. Auch wenn der Bundesminister selbst betont, dass die beiden Zahlen nicht vergleichbar sind, wird doch das eigentliche Ausmaß des Anstiegs der Armut in Deutschland verschleiert. Tatsächlich ist aber die Armut in Deutschland innerhalb von fünf Jahren um 50% gestiegen. Einen solchen dramatischen Anstieg hat es in den letzten 25 Jahren auch in anderen konjunkturellen Abschwüngen nicht gegeben. Besonders gravierend ist der Anstieg der Kinderarmut und der Armut von Erwerbstätigen. Wie in meinem Gutachten dargelegt wird, wird aber insbesondere die Armut dieser beiden Gruppen mit dem EU-SILC 2005 unterschätzt. Auf Basis des sozio- ökonomischen Panels (die Zahlen finden sich im Anhang des Armuts- und Reichtumsberichts) sind mittlerweile über 26% der Kinder arm und 10% der Erwerbstätigen, das sind also 4 Millionen working poor. Damit gibt es mittlerweile mehr erwerbstätige als arbeitslose Arme.