Schluss mit dem Märchen vom billigen Atomstrom
Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau
Seit 2000 hat sich vieles getan, was für einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie und gegen den Weiterbetrieb der Kraftwerke spricht. Die Hoffnungen, ein Endlager zu finden, sind weiter gesunken. Der Terroranschlag vom 11. September macht deutlich, dass Atomkraftwerke eine gefährliche Waffe sein können. Das gilt insbesondere für die alten Kraftwerke, die unzureichend gegen Flugzeugabstürze geschützt sind. Statt aber Restlaufzeiten von alten auf neue Kraftwerke zu übertragen, damit die alten schneller vom Netz gehen können, geschieht das Gegenteil.
Sicherheitsproblem
Auch sonst versuchen die Energiekonzerne, die alten Kraftwerke weiterlaufen zu lassen, was nicht nur wegen der Terrorgefahr ein Sicherheitsproblem ist. Aufgrund der Gefahren sollte es ein Betriebsverbot für die sieben ältesten Kraftwerke geben, damit diese so schnell wie möglich vom Netz gehen. Das gilt insbesondere für Biblis A und B, die zu den ältesten Kraftwerken gehören, die noch im Betrieb sind.
Das wichtigste Argument gegen eine Laufzeitverlängerung sind aber die aktuellen Erkenntnisse, dass der Klimawandel noch schneller kommt und die Gefahren größer sind als bisher befürchtet. Eine Wende der Energiepolitik hin zu Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien ist dringender denn je. Eine Verlängerung der Nutzung der Atomkraft würde diesen notwendigen Wandel bremsen. Die Energiekonzerne behaupten, ein Ausstieg aus dem Atomausstieg würde neue klimaschädliche Kohlekraftwerke ersetzen. In Wahrheit wollen sie aber beides: mehr Atomkraft und viele neue Kohlekraftwerke. Deswegen wollen wir die Energieversorger mit einer Verschärfung des Atomausstiegs zum Klimaschutz und zum verstärkten Einsatz Erneuerbarer Energien zwingen.
Dies kann und sollte vor allem durch ökonomische Mittel erreicht werden. So sind Kernkraftwerke nicht ausreichend gegen Störfälle versichert. Die heute geltende Deckungssumme von 2,5 Milliarden Euro steht in einem Missverhältnis zu den möglichen Schäden, die im Falle eines Atomunfalls auf bis zu fünf Billionen Euro geschätzt werden. Die heutige Deckungssumme würde also höchstens 0,1 Prozent der Schäden abdecken. Deswegen ist eine drastische Ausweitung des Haftungsrisikos für Atomkraftwerke zwingend notwendig. Durch die Einführung des Emissionshandels profitieren die Atomkraftwerksbetreiber von den steigenden Strompreisen, ohne Kosten durch den Kauf von Emissionsrechten zu haben. Dadurch werden Milliarden in die Kassen der Atomkraftwerksbetreiber gespült. Um diese Wettbewerbsverzerrung zu korrigieren, fordern wir die Einführung einer Brennelementesteuer. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass die 30 Milliarden Rückstellungen, die die Atomwirtschaft zur Entsorgung des Atommülls und den Rückbau der AKWs bilden müssen, in einen öffentlichen Fonds eingezahlt werden. Nur so können wir dafür sorgen, dass sie für den vorgesehenen Zweck verwendet werden und vor einer möglichen Insolvenz geschützt sind. Dieser Fonds kann zudem dazu genutzt werden, Erneuerbare Energien und eine ökologischere Wirtschaftsweise zu fördern.
Druck auf die Politik
Durch diese Maßnahmen würde erreicht, dass die tatsächlichen Kosten der Nutzung der Atomkraft, die Forschungsgelder, die Versicherung der Haftungsrisiken und die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke sowie die Endlagerung des Atommülls in den Preisen für Atomstrom auftauchen. Damit würde das Märchen, dass Kernkraft billiger sei, endlich der Vergangenheit angehören. Das ökonomische Problem ist, dass aus Sicht der Atomkraftwerksbetreiber die Nutzung in den letzten Jahren noch rentabler geworden ist, während die Kosten für die Gesellschaft gestiegen sind. Die Folge ist, dass die Atomkraftwerksbetreiber einen massiven Druck auf die Politik und die Medien ausüben. Dahinter stecken handfeste ökonomische Interessen. Deswegen wird immer wieder am Atomkonsens gerüttelt.
Immense Gefahren
Das Argument, ein Ausbau der Kernenergie würde dem Klimaschutz dienen, ist nur vorgeschoben. Schon der Abbau von Uran verursacht eine Menge CO2. Zu bedenken ist auch, dass die Uranreserven endlich sind, nur noch 60 bis 80 Jahre reichen. Deswegen und wegen der immensen Gefahren ist ein Ausstieg aus der Atomkraft dringend geboten. Die zusätzlichen Gewinne in Milliardenhöhe würden nur in den Taschen der Aktionäre landen und nichts zum Klimaschutz beitragen.
Der Klimawandel wird nur durch massive Energieeinsparungen, eine technische Offensive bei der Energieeffizienz und durch den Umstieg auf erneuerbare Energien erreichbar sein. Eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke führt hingegen in eine Sackgasse.
Wolfgang Strengmann-Kuhn ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90 Die Grünen und der außenwirtschafts- politische Sprecher seiner Fraktion im Bundestag in Berlin. Der 43-Jährige Wirtschaftswissenschaftler lebt in Frankfurt-Bockenheim.
Manuel Emmler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Wolfgang Strengmann-Kuhn. Der Politologe gehört für Bündnis 90/Die Grünen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen an.