Bericht China-Reise

Gepostet am Freitag, den 21. November 2008 um 20:05 in Alterssicherung,Grundeinkommen,Verschiedenes

Auf Einladung der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) war ich als Experte für soziale Sicherung vom 27.10. bis 5.11. für mehrere Veranstaltungen in China. Die erste war ein wissenschaftlicher Workshop zum Thema „Social Policy in China and Germany“, der zusammen mit der China Academy of Social Science (CASS) und der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet wurde. Auf diesem Workshop gab es sowohl Vorträge von chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie von vier ausländischen Experten (drei Deutschen und einem Mexikaner). Der Workshop bestand aus insgesamt vier Sitzungen mit jeweils drei Präsentationen zu den Themen „Social welfare and anti poverty programmes“, „Redistribution of income and taxation policy“, „Social security for migrants“ und „Social security in rural areas“. Meine Aufgabe bestand darin, in der ersten Sitzung die drei Vorträge zu kommentieren, in der zweiten Sitzung hatte ich die Rolle des Moderators und in der letzten Sitzung habe ich einen Vortrag mit dem Titel „Reform and Financing of Social Security Systems in Germany“ gehalten.

Die zweite Veranstaltung war eine internationale Konferenz mit dem Titel „China’s Reform in the Next Step: Changes and Choices“, die vom China Institute for Reform and Development (CIRD) mit der GTZ veranstaltet wurde und in Haikou (Hainan) stattgefunden hat. An dieser Konferenz haben ca. 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik und Wissenschaft, überwiegend aus China, aber auch eingeladene Expertinnen und Experten aus 11 Ländern teilgenommen. Bei der Konferenz hatte ich die Aufgabe eine Rede zum Thema „Reforming Social Security in Germany – Challenges and Proposals“ im Rahmen der ersten Podiumsdiskussion zu „Trends and Objectives of Reforms in the New Period“ zu halten. Schließlich hatte ich Gelegenheit, nachdem wir nach Peking zurückgekehrt sind, ein 90-minütiges Gespräch mit dem Generalsekretär der China Development Foundation (CDRF), über Reformen der sozialen Sicherung, zu führen. Die CDRF hat gerade einen umfassenden Bericht mit Vorschlägen dazu für die chinesische Regierung erstellt, der im nächsten Frühjahr auch auf englisch erscheinen soll.


In meinen beiden Vorträgen habe ich die großen Herausforderungen für Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland umrissen (Veränderungen der Familienstrukturen, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, demographische Entwicklung, Armut in Deutschland) und vor allem drei Reformvorschläge diskutiert: Die Umstellung der Alterssicherung vom Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren in der Alterssicherung, die Idee der Bürgerversicherung als universelles Sicherungssystem für Gesundheit und Alter sowie den Vorschlag eines Grundeinkommens. Sowohl die grundsätzlichen Überlegungen als auch die konkreten Vorschläge sind auf großes Interesse gestoßen. China steht zum Teil vor ähnlichen Herausforderungen, führt aber noch grundlegendere Reformdiskussionen, weil das soziale Sicherungssystem, das im wesentlichen regional oder sogar lokal organisiert und an die staatlichen Betriebe angeknüpft war, nicht mehr funktioniert. Es gibt alleine fast 150 Millionen „Wanderarbeiter“ die teils dauerhaft vom Land in die Städte gezogen sind, teils für kürzere oder längere Zeiten zwischen Land und Stadt hin- und herpendeln, die ebenso durch das soziale Sicherungsnetz fallen wie die zunehmende Zahl an Selbstständigen und Beschäftigten in den privaten Betrieben. Deswegen wird über universelle Sozialversicherungen nachgedacht.

Auch die Idee eines Grundeinkommens ist insbesondere in dem wissenschaftlichen Workshop auf positive Resonanz bei einigen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gestoßen. Ein Grundeinkommen für China ist dabei gleich aus mehrerlei Hinsicht interessant. Armut und wachsende Ungleichheit sind in China große Probleme. Zwar ist die absolute Armut in den letzten Jahren stark gesunken, ist aber in den ländlichen Regionen nach wie vor erheblich. Darüber hinaus gibt es aufgrund des rasant wachsenden Wohlstands ein steigendes Problem der relativen Armut. Sozialhilfesysteme gab es bis vor kurzem gar nicht oder nur rudimentär. Ein neu eingeführtes System in den ländlichen Regionen zeigt zwar eine gewisse Wirkung, ist aber zu wenig bekannt, führt zu Stigmatisierung und benötigt einem hohen bürokratischen Aufwand. Ein universelles Grundeinkommen würde diese Probleme vermeiden und absolute Armut könnte in China komplett beseitigt werden. Hinzu kommt, dass nicht nur über ein neues soziales Sicherungssystem nachgedacht und diskutiert wird, sondern auch über die Einkommensteuer, die es ebenfalls nur rudimentär gibt. Bis Ende der 80er Jahre gab es gar keine Einkommensteuer und zur Zeit stammen gerade einmal 6% der Steuereinnahmen aus der Einkommensteuer. Aufgrund der zunehmenden Ungleichheit wird deshalb über eine Reform des Steuersystems, das in stärkerem Maße umverteilt, diskutiert, so dass ein Grundeinkommen kombiniert mit einem einfachen Einkommensteuersystem, z.B. in Form einer Basic Income Flat Tax, eine interessante Reformoption für China ist.

Allgemein habe ich große Neugier und Offenheit festgestellt, mit der ich nicht unbedingt gerechnet habe. Die Herausforderungen, denen sich China gegenübersteht, sind enorm. Dabei ist soziale Sicherheit nur ein Aspekt. Allgemein steht China davor ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu entwickeln, bei dem eine neue Balance aus Markt und Staat gefunden werden muss, bei dem soziale Sicherheit hergestellt sowie soziale Ungleichheiten begrenzt werden, und last not least bei der die Wirtschaft auch ökologischen Kriterien entsprechen muss. Nachdem in den letzten Jahren wirtschaftliches Wachstum, um Reichtum zu generieren, das vorherrschende Ziel war, gibt es mittlerweile gibt das Ziel, bis 2020 eine „harmonische sozialistische Marktwirtschaft“ zu erreichen. Dieser Begriff ist noch inhaltlich zu füllen, die Diskussionen dazu wurden aber sowohl auf der Konferenz als auch im wissenschaftlichen Workshop sehr intensiv und erstaunlich offen und frei diskutiert, wobei insbesondere auch ein großes Interesse an der Meinung der ausländischen Expertinnen und Experten bestand. Sogar über Reformen des politischen Systems und eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen wurde diskutiert.

Insgesamt lässt sich sagen, dass das Bewusstsein für Probleme in hohem Ausmaß vorhanden ist und es wird intensiv an Lösungen gearbeitet. Das gilt sowohl für die Fragen der sozialen Sicherheit, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und wachsender Ungleichheit, als auch – das habe ich in vielen Gesprächen erfahren – für die Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit, des Umbaus der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien, der Frage, was aus der Kohle wird usw. Allerdings wird häufig dann auch dazugesagt, dass man sich zwar der Probleme bewusst ist, dass aber zur Zeit immer noch vorrangig wäre, Wachstum zu generieren und eine Rücksicht auf die Umwelt noch nicht möglich wäre. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei China um ein Land, bei dem Vieles in Bewegung ist und in dem spannende Diskussionen stattfinden, von denen wir einerseits lernen können, andererseits sollten wir umgekehrt das Interesse, das uns entgegengebracht wird, nutzen, um unsere Erfahrungen (positive wie negative) mit in die Diskussion einzubringen, denn alles, was in China passiert, hat aufgrund der Größe, der Bevölkerungsanzahl von 1,3 Milliarden Menschen und der Vorbildfunktion für viele Schwellen- und Entwicklungsländern letztlich auch immer Auswirkungen auf uns.

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