Bericht zur Green New Deal Tour Hessen: Die Wirtschaft der Zukunft ist Grün!

Gepostet am Donnerstag, den 19. März 2009 um 23:38 in Wirtschafts- und Finanzpolitik
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Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Erfurt haben wir den Grünen New Deal als unsere Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise beschlossen. Zentraler Gedanke dabei ist, dass wir die derzeitigen Krisen und Herausforderungen zusammen denken. In den letzten 4 Wochen – nur unterbrochen von einer Sitzungswoche in Berlin – war ich auf „Green New Deal Tour“ durch Hessen, um zu verdeutlichen, dass es schon jetzt Betriebe, Unternehmen und Projekte gibt, die nach unseren Vorstellungen wirtschaften und häufig wesentlich weniger von der Krise betroffen sind als andere. Es ging also vor allem um „best practice“-Beispiele als Vorbilder für die Gesamtwirtschaft.

Die Tour hatte mehrere Ziele:

1) sollte der Öffentlichkeit deutlich werden, in welche Richtung Grüne wirtschaftspolitisch denken und dass es selbst in der Krise möglich ist, mit „Grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben“,

2) sollte eine Vernetzung zwischen den Unternehmen und Projekten mit den Grünen vor Ort hergestellt oder vertieft werden und ging es darum von Unternehmen und Projekten zu lernen, um die Erfahrungen dann in die verschiedenen Ebenen der Politik (Kommunal-, Landes- und Bundespolitik) mitzunehmen.

Bei fast allen (bis auf einen Termin) waren VertreterInnen der Kreis- und Ortsverbände dabei und bei den meisten auch PressevertreterInnen. Wir haben alle viel gelernt. Die Green New Deal Tour soll keine einmalige Aktion bleiben darf, sondern es muss Fortsetzungen davon geben muss. Bei der bisherigen Tour handelte es sich bewusst um eine „Rosinenpickerei“, um zu zeigen, in welche Richtung wir uns eine Veränderung der Wirtschaft vorstellen. Ziel ist aber die gesamte Wirtschaft in Richtung sozial-ökologische Modernisierung zu verändern. Kerstin Andreae, Thea Dückert und ich haben dazu gerade ein Papier zur Grünen Industriepolitik geschrieben. Deshalb ist es in weiteren Schritten unbedingt notwendig, nicht nur vorbildliche Unternehmen zu besuchen, sondern auch die, die in der Krise Schwierigkeiten haben, um mit diesen zu überlegen, in welche Richtungen eine Umstellung im Sinne des Grünen New Deals möglich ist.

Auch in anderer Hinsicht gibt es noch zu tun: Die Vernetzung zwischen den Grünen und der „Grünen Wirtschaft“ ist noch verbesserungsfähig, dabei ist der Wunsch nach Vernetzung auf beiden Seiten sehr groß. Bei der Tour haben einige Grüne den Wunsch nach einem Verzeichnis von ökologisch-sozialen-demokratischen Unternehmen und Projekten geäußert, das bis auf die Kreisebene heruntergebrochen ist. Ich will mich da gerne in Kooperation mit den Kreisverbänden drum kümmern.

Neue Energie für Hessen

Für den Umbau der Wirtschaft im Sinne des Grünen New Deals ist die Energiepolitik zentral. Deswegen stand bei der Hälfte der Termine (11 von 22) der Green New Deal Tour die Energie im Mittelpunkt. Vom Windpark Hartmannshain im Vogelsberg, dem Weltmarktführer für Wechselrichter („das Herz von Photovoltaik-Anlagen“) SMA in Kassel, mehreren kleineren Unternehmen, die im Bereich Solarenergie und/oder anderen erneuerbaren Energien tätig sind, mehreren Biogas- und Biomasseanlagen bis hin zum Bioenergiedorf Rai-Breitenbach und den Energieversorgern NaturPur in Darmstadt (dem nach Lichtblick zweitgrößten Anbieter von erneuerbaren Energien in Deutschland) sowie EVO in Offenbach.

Wir haben als Bundespartei, ebenfalls in Erfurt, beschlossen, dass wir Strom bis 2030 zu 100% aus erneuerbaren Energien gewinnen wollen. Bis 2040 streben wir das Gleiche für die gesamte Energieerzeugung an, und zwar nicht nur weil das aus Grüner Sicht wünschenswert ist, sondern weil es notwendig ist, um die Erderwärmung auf zusätzliche 2 Grad zu begrenzen. Um dieses zu erreichen, müssen in Europa die CO2-Emmissionen bis 2050 um 80% gesenkt werden. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen. Für Hessen haben wir Grüne ein Konzept vorgelegt, mit dem wir schon 2028 den Strom komplett aus erneuerbarer Energie erzeugen könnten.
Hessen liegt allerdings bei der Erzeugung von erneuerbarer Energie sehr weit hinten, und wegen Jürgen Walter und Co. ist trotz aller leeren Versprechungen der Landesregierung, Hessen zum Vorzeigeland für erneuerbare Energien zu machen, nicht mit Fortschritten zu rechnen – im Gegenteil. Im Bereich Windenergie wird sogar besonders stark gebremst. Auch bei Biogas und Biomasse gibt es bisher keine positive Bewegung der Landesregierung. Was die Solarenergie angeht, ist damit zu rechnen, dass die Marktkräfte so stark sind, dass zumindest mittelfristig mit einem Durchbruch gerechnet werden kann, weil die Preise, insbesondere für Photovoltaik, stark sinken und die fossiler Energieträger wieder ansteigen werden. Bereits in wenigen Jahren wird Solarstrom günstiger sein als Strom aus Öl, Gas und Kernkraft.

Im Allgemeinen sind die Aussichten – mal von den politischen Rahmenbedingungen in Hessen abgesehen – für die Erzeuger von erneuerbaren Energien sehr gut. Kurzfristig ergeben sich aber Probleme daraus, dass die Öl- und Gaspreise im letzten Jahr so stark gesunken sind. Werden diese aktuellen Preise zur Kalkulation verwendet, lohnen sich Investitionen in erneuerbaren Energien erst nach längerer Zeit. Da aber mittel- und langfristig wieder mit einem starken Anstieg der Preise für fossile Energieträger zu rechnen ist, ist das nur etwas Wasser im Wein. Neben der Energieerzeugung mit Erneuerbaren ist ebenso wichtig, in Energieeffizienz und Energieeinsparung zu investieren. Sonst ist ein eine vollständige Stromversorgung durch erneuerbare Energien nicht zu schaffen.

Energieerzeugung und Energieeinsparung standen bei zwei weiteren Terminen, nämlich bei dem Naturbaustoffhändler Ökotech in Michelstadt und bei der Bau- und Wohngenossenschaft Wohnsinn in Darmstadt, die ihre Wohnungen im Passivhaus-Standard gebaut haben, im Mittelpunkt. Aber auch bei vielen anderen Terminen spielte Energieeffizienz und Energieversorgung eine wichtige Rolle.

Ökologische Produktion und ökologische Landwirtschaft

Energieversorgung mit erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Baustein für die Umstrukturierung der Wirtschaft im Sinne des Grünen New Deals. Die Ökologie darf dabei aber nicht vergessen werden und kann sogar im Widerspruch dazu stehen. Dies gilt insbesondere für die Produktion von Energie mit Biogas und Biomasse. Bei der ökologischen Beurteilung ist vor allem entscheidend woher die Rohstoffe kommen. Ökologische Fragen können sich darüber hinaus bei dem Bau von Windkrafträdern und natürlich auch bei Wasserkraftwerken stellen. Letztere spielten bei der Green New Deal Tour allerdings keine Rolle, unter anderem auch deswegen, weil die Wachstumspotentiale in Deutschland eher gering sind. Bei der Erzeugung von Strom aus Biogas ist wichtig, ob die dabei entstehende Wärme ebenfalls genutzt wird. Diesbezüglich ist die Anlage in Brensbach vorbildlich. Auf der einen Seite gibt es dort eine Biogasanlage sowie direkt daneben die Firma Biowert, die die Abwärme nutzt. Sie stellt Produkte aus Gras her und produziert neben Dämmstoffen auch Agroplastik, das zu einem großen Teil aus Cellulose besteht, die aus Gras gewonnen wird. Bei diesem Prozess wird erstens die Wärme der Biogas-Anlage verwendet. Zweitens gibt es einen Wasserkreislauf zwischen der Gras- und der Biogasanlage, der den notwendigerweise sehr hohen Wasserverbrauch bei Biowert auf ein Minimum reduziert.

Für den Grünen New Deal ist auch die ökologische Landwirtschaft von großer Bedeutung. Und zwar für gesunde, ohne Gentechnik produzierte Lebensmittel, für die Erhaltung der Böden und gesunden Wassers, für Biodiversität und Landschaftsschutz sowie für eine artgerechte Tierhaltung. Darüber hinaus kommt ihr aber auch eine weitere wichtige Rolle zu: Die Agrarpolitik ist in hohem Maße mitverantwortlich für Hunger und Armut in der Welt.
Die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft im ländlichen Raum in Entwicklungs- und Schwellenländern ist deswegen für die betroffenen Länder aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Gründen von zentraler Bedeutung. Umgekehrt werden durch Subventionen bei uns die Weltmarktpreise für Lebensmittel künstlich so niedrig gehalten, dass sich Eigenproduktion in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nicht lohnt. Eine Abkehr von der konventionellen Landwirtschaft hilft den armen Ländern und hat auch eine Vorbildfunktion.

Aus diesen Gründen habe auch einen Biowinzer in Eltville, die Saatgutwerkstatt Bingenheim, die Heydenmühle im Kreis Darmstadt-Dieburg sowie den Ökolandhof Hartmann und die Kelterei Kelm in Flieden. Alle diese Betriebe haben eine große Vorbildfunktion in der ökologischen Landwirtschaft. Die Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und Lehre wurde bei dem Besuch der Domäne Frankenhausen deutlich, die zum Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaften“ der Universität Kassel gehört. Internationale Gerechtigkeit und Ökologie werden bei BanaFair in Gelnhausen zusammengedacht, die mit fair gehandelten und ökologisch angebauten Bananen aus Latein- und Mittelamerika handeln und darüber hinaus dort soziale und politische Projekte finanzieren.

Soziales Engagement und demokratische Strukturen

Der Kern des Grünen New Deals ist, dass verschiedene Dimensionen nämlich Wirtschaft, Ökologie und Soziales zusammengedacht werden. Deswegen wurden für die Green New Deal Tour u.a. solche Unternehmen und Projekte ausgesucht, bei denen dies ebenfalls der Fall ist. Am deutlichsten wird das bei der Heydenmühle und bei der Saatenbau Bingenheim. In beiden Fällen sind Behinderteneinrichtungen angeschlossen bzw. integriert. Zu der Lebensgemeinschaft Bingenheim gehören eine Schule sowie diverse Werkstätten. In der Heydenmühle gibt es neben dem ökologischen Landbau ebenfalls mehrere Werkstätten sowie eine Bäckerei, in der Behinderte arbeiten. Außerdem bietet die Heydenmühle ein Kulturprogramm an. Wie in diesen beiden Projekten geht es auch bei der Bau- und Wohnungsgenossenschaft Wohnsinn in Darmstadt um gemeinsames Leben, allerdings ohne gemeinsames Produzieren. Es handelt sich aber ebenfalls um ein Projekt, bei dem ökologische und soziale Ziele miteinander verknüpft werden. Das ökonomische Projekt war der Bau und ist die Unterhaltung einer Wohnanlage mit 39 Wohnungen im Passivhaus-Standard (siehe oben). Ein wichtiges Ziel der Genossenschaft ist eine sozial gemischte Zusammensetzung der BewohnerInnen: nach Einkommen, Alter, Nationalität. Außerdem gibt es Quoten für Einzelpersonen, Familien mit und ohne Kinder sowie Behinderte. Auch für andere Betriebe auf der Green New Deal Tour spielt soziales Engagement eine große Rolle. So hat BioWert etliche Langzeitarbeitslose eingestellt, SMA finanziert eine Reihe sozialer Projekte in aller Welt usw.

Neben dem sozialen Engagement spielen in einigen Projekten auch demokratische Strukturen eine wichtige Rolle. Bei der Genossenschaft Wohnsinn gehört das zum Konzept. Auch das Projekt Bioenergiedorf ist genossenschaftlich organisiert. Ein konventioneller Betrieb mit einer starken demokratischen Mitbestimmung ist Opel Hoppmann. Das Autohaus setzt seit Jahrzehnten auf eine stärkere Mitarbeiterbeteiligung bei Unternehmensentscheidungen und am finanziellen Erfolg.

Neue Finanzmärkte

Ausgangspunkt der Krise war der Finanzmarkt. Deswegen wäre ohne eine Bank und der Perspektive eines anderen Finanzmarkts eine Green New Deal Tour unvollständig. Die GLS Bank, die Mitte der 70er Jahre gegründet wurde und übernahm im Jahr 2003 die Ökobank. Zwei Ursachen der Finanzmarktkrise waren fehlende Transparenz und eine Abkoppelung der Finanzanlagen von der Realwirtschaft. In beiden Punkten geht die GLS einen anderen Weg – ein Grund, warum es seit Oktober 2008 eine starken run auf die Bank gibt. Insgesamt ist die Bilanzsumme im letzten Jahr um 28% gestiegen. Zum Konzept der GLS Bank gehören eine starke Transparenz, weil die KundInnen wissen und entscheiden dürfen, bei welchen Projekten ihr Geld angelegt wird. Alle Kredite werden nach sozialen und ökologischen Kriterien vergeben. Schwerpunkte sind u.a. erneuerbare Energien, ökologischer Landbau, Wohnprojekte, Gebäudesanierung und Kulturprojekte. Damit ist die GLS Bank Vorbild für ethisch-ökologisches Investment, das mittlerweile auch bei den anderen Banken Fuß fasst. Die Bundestagsfraktion hat dazu im letzten Jahr eine Finanzmarktkonferenz in Frankfurt veranstaltet, bei der sich zeigte, dass mittlerweile – und auch schon vor der Finanzmarktkrise – die Renditen für ethisch-ökologisches Investment so hoch sind wie die Marktrenditen, das Risiko aber deutlich geringer ist. Grünes Wirtschaften ist also auch für die Finanzmärkte ein Zukunftsmodell.

Vernetzung mit der regionalen Wirtschaft

Nicht nur bei der GLS-Bank, sondern auch bei zahlreichen anderen Unternehmen zeigte sich, dass es viele Anknüpfungspunkte zum regionalen Umfeld gibt. Die genannten Betriebe und Projekte haben dadurch zum einen positive Auswirkungen auf die Ökonomie in den Regionen. Zum anderen wird der Gedanke des ökologischen Wirtschaftens, bei dem in Kreisläufen gedacht wird, zusätzlich verstärkt. So werden z.B. in Biogasanlagen Abfallprodukte der umliegenden Landwirtschaft weiterverarbeitet und umgekehrt erhalten Landwirte wiederum Dünger, der in den Biogasanlagen als Nebenprodukt entsteht.

Bildung und Wissenschaft

Um eine Umstellung der Wirtschaft zu erreichen, ist eine intensive Verbindung zu Bildung und Wissenschaft unbedingt erforderlich. Deswegen habe ich Betriebe mit Schwerpunkten in diesen Bereichen besucht, u. a. auch die Technikerschule in Weilburg, die einen Schwerpunkt im Bereich erneuerbare Energien hat, besucht. Auch bei der Domäne Frankenhausen, die zur Uni Kassel gehört, spielt Wissenschaft und Bildung natürlich eine wesentliche Rolle. Schließlich ist auch die IKS in Kassel im Bereich Bildung und Wissenschaft tätig. Sie stellt u.a. technische Lehrmittel her, mit denen die Funktionsweisen von erneuerbaren Energien dargestellt und erforscht werden können. Schwerpunkt ist zwar die berufliche Ausbildung. Sie produzieren aber auch für Schulen und sogar für Kindergärten. Dabei sind sie so erfolgreich, dass sie mittlerweile auch weltweit tätig sind und einen Exportanteil von etwa 40% haben. Dass bei diesen Besuchen, bei der Lebensgemeinschaft Bingenheim und der Heydenmühle Wissenschaft und Bildung eine zentrale Rolle spielen, war nicht erstaunlich. Auffällig war, dass bei vielen anderen Projekten und Unternehmen die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft wichtig ist. So werden etliche Aktivitäten wissenschaftlich begleitet und es gibt eine enge Kooperation mit den Hochschulen in Hessen und zum Teil auch darüber hinaus.

Initiative und Engagement

Insgesamt zeigte sich, dass die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, überaus engagiert waren, was sich u. a. an den „betriebsfremden“ Aktivitäten im sozialen, Bildungs- und Kulturbereich zeigt. Aber auch und gerade in Bezug auf die ökonomischen Aktivitäten sind die Beteiligten besonders engagiert. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen sind diejenigen, die in den aufgezählten Bereichen tätig sind, Leute, die als Pioniere und Pionierinnen etwas verändern wollen. Es zeigte sich aber auch, dass das Arbeiten an den Problemen der Zukunft, die Menschen stimuliert und anregt. So werden neue Ideen entwickelt und vielfältige Innovationen bewirkt. Schließlich tragen die häufig zu findenden demokratischen Strukturen und Mitwirkungsmöglichkeiten zu einer Förderung der Eigeninitiative bei, die auch bei dem Autohändler Opel Hoppmann zu sehen ist, in einer Branche, die sich ja ansonsten eher weniger am ökologischen Umbau der Gesellschaft beteiligt.

Informationen zu den einzelnen Stationen der Green New Deal Tour gibt es unter:

http://archiv.strengmann-kuhn.de/?cat=29

Fortsetzung folgt!

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