Wiesbadener Kurier: Gorleben verdirbt den Umgangston
GRÜNEN-DIREKTKANDIDAT Wolfgang Strengmann-Kuhn will sein Bundestagsmandat über Listenplatz verteidigen
Wolfgang Strengmann-Kuhn hat einiges mit Heinz Riesenhuber gemeinsam, dem er am 27. September das Bundestags-Direktmandat streitig machen will. Strengmann-Kuhn sitzt zwar noch nicht seit drei Jahrzehnten im Deutschen Bundestag, aber immerhin doch seit Anfang 2008. Professor Riesenhuber ist von Hause aus Chemiker, Professor Strengmann-Kuhn Wirtschaftswissenschaftler. Und im Wirtschaftsausschuss des Bundestages hat der Grünen-Politiker Strengmann-Kuhn ausgesprochen gern mit dem christdemokratischen Urgestein die Klingen in Fachdiskussionen gekreuzt.
Ehrgeizige Ziele
Seit ein paar Tagen hat die Wertschätzung für den früheren Bundesforschungsminister allerdings abgenommen. Strengmann-Kuhn ist entsetzt, dass Gutachten zur Sicherheit des als Atom-Endlager vorgesehenen Salzstocks im niedersächsischen Gorleben angeblich auf Druck aus dem Forschungsministerium nachträglich geschönt und festgestellte Risiken verschwiegen wurden. Und das unter einem Minister Riesenhuber. „Das ändert den Umgangston“, meint Strengmann-Kuhn und ärgert sich, dass die deutsche Atompolitik quasi auf einer Lüge aufgebaut sei.
Voraussichtlich wird Wolfgang Strengmann-Kuhn das auch im nächsten Bundestag diskutieren können. Auf Platz sechs der Landesliste zieht der 45-Jährige ins Parlament ein, wenn die hessischen Grünen ihre Umfragewerte auch nur annähernd halten. Dabei setzt er sich im Main-Taunus ehrgeizige Ziele, will bei den Zweitstimmen der SPD den zweiten Platz in der Wählergunst streitig machen.
Und vielleicht schafft es dann ja auch jene Band zu einem Auftritt, die er zusammen mit anderen Bundestagsabgeordneten quasi als Ausgleichssport aufgemacht hat. Denn Musik ist seine große Leidenschaft. Er selbst spielt Gitarre – Rock, Pop, Jazz. Als ehemaliger Disjockey hat er zu Hause zwangsläufig eine größere Sammlung von Schallplatten und CDs.
Politisch liegt sein Schwerpunkt bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Wähler muss da akademisch anspruchsvolle Kost verdauen, wenn die Grünen in Anlehnung an die Wirtschafts- und Sozialreformen des früheren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt in ihrem Wahlprogramm vom „Green New Deal für neue Arbeit und Innovation“ reden. Gut, dass hier im Main-Taunus nun ein Wirtschaftsprofessor die Forderungen volksnah übersetzen kann. Ein grüner Gesellschaftsvertrag, so das Parteiprogramm, bedeute, dass Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden dürften. Mit diesem allgemeinen Ansatz schlägt Strengmann-Kuhn schnell den Bogen zur Flughafen-Erweiterung und zu den Straßenbauplänen in der Region.
Die Wirtschaftskrise sieht er in der Bundesrepublik erst am Anfang, die Talsohle sei noch lange nicht erreicht. Im Winter werde die Grenze von fünf Millionen Arbeitslosen überschritten, befürchtet er. Notwendig sei daher die Regulierung der Finanzmärkte, der ökologische Umbau der Industriegesellschaft und ein besserer Schutz vor Armut. „Ohne eine Bekämpfung von Armut und eine ökologische Ausrichtung der Wirtschaft kommen wir weder nachhaltig aus der Wirtschaftskrise heraus noch lässt sich der Klimawandel beherrschen“, sagt der Bundestagskandidat, der sich schon als Student der Armutsforschung gewidmet hat. Armut gebe es auch in einem reichen Kreis wie dem Main-Taunus.
Hier im Main-Taunus ist Strengmann-Kuhn derzeit viel mit dem Fahrrad unterwegs. Tagsüber Informationsstände, abends die klassischen Wahlveranstaltungen, damit versucht er die Wahlbürger zu erreichen. Das Interesse an inhaltlichen Positionen sei groß, zieht er eine Zwischenbilanz, die ihn im Hinblick aufs Wahlergebnis zuversichtlich macht.
© Werner Stoepler / Wiesbadener Kurier