Debatte um Antrag der Regierung zu Europa 2020
Am 20.5.10 wurde unter dem Tagesordnungspunkt 7 der Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP Europa 2020 – Die Wachstums- und Beschäftigungsstrategie der Europäischen Union braucht realistische und verbindliche Ziele debattiert. In diesem zusammen stellte Wolfgang Strengmann-Kuhn eine Frage zur verwirrenden Position der Regierung zu den sozialpolitischen Zielen Europas an Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU)
Frage von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn:
Wir haben im Arbeits- und Sozialausschuss bereits über dieses Thema diskutiert. Dort haben Sie die Position vertreten, dass es bei der EU-2020-Strategie nicht nur nicht um Bildungspolitik geht, sondern auch nicht um Sozialpolitik. Könnten Sie hier einmal erklären, ob Sie immer noch dieser Meinung sind? Im letzten Drittel geht es ja um sozialpolitische Ziele, die schon in der Lissabon-2010-Strategie enthalten waren, so die offene Methode der Koordinierung und Ähnliches. Sind Sie also immer noch der Meinung, dass die sozialpolitische Dimension, die in der EU-2020-Strategie unter der Überschrift „Integratives Wachstum“ angesprochen wird, nach wie vor keine Rolle spielt?
Wenn Sie dieser Meinung sind, könnten Sie das dann auch einmal begründen, angesichts des Widerspruchs zu dem, was eigentlich in der Strategie, in dem Vorschlag der EU-Kommission steht? Wäre es jetzt nicht eigentlich auch für diese Bundesregierung an der Zeit, zu verdeutlichen, dass sozialpolitische Ziele neben Wachstumszielen durchaus Ziele der Europäischen Union sind, wohl wissend, dass es bei deren Umsetzung um die Subsidiarität der Mitgliedsstaaten geht?
Antwort Wadephul:
Ich bin dankbar, dass ich das aufklären kann und dass Sie, sicherlich völlig unabsichtlich, mich und meine Fraktion falsch verstanden haben. Niemand ist – das ist hier mehrfach betont worden – gegen Armutsbekämpfung. Vielmehr ist das ein Ziel, das uns politisch wohl über alle Fraktionsgrenzen und politischen Grenzen hinaus eint. Die Frage ist nur: Wie geht man mit dem Thema um? Dazu möchte ich drei Punkte ansprechen.
Erstens. Die Kollegin Molitor hat hier – ich möchte das nicht wiederholen – eindrücklich nachgewiesen, warum die sogenannte Armutsrisikoquote, die bisher von der EU-Kommission genannt worden ist, völlig ungeeignet ist, um die Armut eines Landes zu messen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gar nicht meine Frage!)
Sie haben uns bisher immer vorgeworfen, dass wir diesen Indikator ablehnen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gefragt! Sie müssen mir zuhören!) – Entschuldigung, aber das ist in der öffentlichen Diskussion der Fall gewesen. Wenn Sie Wert darauf legen, dass ich antworte, sollten Sie mir Gelegenheit geben, das zu tun.
Dieser Indikator ist, wie gesagt, völlig ungeeignet. Zweitens. Niemand hat bisher einen anderen brauchbaren Indikator dafür gefunden. Drittens. Es ist schlicht und ergreifend so, dass man Armut immer nur dann verringern kann, wenn es Wachstum und Beschäftigung gibt. Denn nur dann sind Staaten in der Lage, sozialpolitisch zu handeln. Arbeit ist nun einmal die beste soziale Maßnahme. Dafür setzen wir uns ein. Daraus muss man die Kraft schöpfen, sozialpolitisch tätig zu sein. Das ist unsere Philosophie.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte noch immer auf die Antwort!)
Ich bin dankbar, dass Sie das Subsidiaritätsprinzip erwähnt haben. Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal erwähnen, weil es für uns in der Tat ein wichtiger Aspekt ist. Ich möchte Ihnen das einmal entgegenhalten – Sie können sich gerne auch andere Politikbereiche anschauen –: Würden Sie sich von den Dänen vorschreiben lassen, wie man ein gutes Kündigungsschutzrecht verfasst? Würden Sie sich das von den Dänen sagen lassen? Die Dänen haben nämlich gar kein Kündigungsschutzrecht. Wollen Sie sich von den Briten vorschreiben lassen, wie das Mitbestimmungsrecht, das wir haben und auf das wir stolz sind – Montanmitbestimmung und alles, was dazugehört –, auszusehen hat? Die haben nämlich keines. Kaum ein Land hat es.
Diese Beispiele zeigen, dass Subsidiarität auch bedeuten kann, dass Deutschland – das ist vollkommen richtig; dahinter stehen wir auch – eine andere Sozialpolitik macht als andere Länder. Deswegen ist das Subsidiaritätsprinzip richtig und muss gelebt werden. Es darf nicht gleich bei der ersten Strategie, die wir nach dem Lissabon-Vertrag verabschieden, konterkariert werden. Damit führen wir die europäische Idee ad absurdum. Das tragen wir nicht mit.