Antrag: Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen
Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz , Markus Kurth, Sven-Christian Kindler, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen
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Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 ist eine Maßnahme, die sowohl der Stabilisierung des Beitragsaufkommens als auch der Sicherung der Rentenhöhe dient. Sie hat so einen doppelten Effekt. Die Erhöhung der Regelaltersgrenze ist notwendig, aber nur dann vertretbar, wenn Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergriffen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie lediglich auf eine Verlängerung der Langzeitarbeitslosigkeit hinausläuft und die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung vermehrt. Es muss verhindert werden, dass die Anhebung der Regelaltersgrenze eine Rentenkürzung durch die Hintertür wird. Dazu müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Menschen auch länger arbeiten können. Das heißt u.a. konkret: mehr alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze, eine präventive Gesundheitspolitik und Schaffung von „guter Arbeit“.
Gleichzeitig müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters sinnvoll zu ermöglichen. Bestehende Beschränkungen müssen ab- und Anreize für eine längere Lebensarbeitszeit aufgebaut werden, damit Menschen, sofern sie dies wollen, über die Regelaltersgrenze hinaus teilweise oder voll arbeiten können. Eine gerechte Rentenreform stellt außerdem sicher, dass bei der Rentenberechnung die Verschiedenheit der Lebens- und Erwerbsbiografien besser als bisher berücksichtigt wird.
Die Anhebung der Regelaltersgrenze darf nicht dazu führen, dass die Altersarmut steigt, denn Altersarmut ist besonders gravierend, weil kaum eine Möglichkeit besteht, diese Situation aus eigener Kraft zu überwinden. Eine Garantierente als Teil der gesetzlichen Rentenversicherung wird geringe Rentenansprüche auf ein Mindestniveau aufstocken, und gewährleisten, dass langjährig Versicherte eine Rente erhalten, die oberhalb des durchschnittlichen Grundsicherungsniveaus liegt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
- Maßnahmen der Weiterbildung und Qualifizierung, der Beschäftigungsförderung für Ältere sowie für mehr Gute Arbeit zu ergreifen, die dazu führen, dass mehr ältere Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, um eine Rentenkürzung zu vermeiden. Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert:
- Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen über das SGB II und das SGB III stärker auf Ältere und Geringqualifizierte zuzuschneiden und die Anzahl der Angebote zu erhöhen,
- sicher zu stellen, dass die Tarifpartner mehr als bisher in die Verantwortung genommen werden, das Thema Weiterbildung in die betriebliche Praxis zu integrieren,
- einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose aufzubauen, die auf absehbare Zeit keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, unter denen sich auch viele Ältere befinden,
- gemeinsam mit den Sozialpartnern eine Informationskampagne für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu starten, welche die besonderen Potenziale und Kompetenzen älterer Beschäftigter hervorhebt,
- Führungskräfte und Arbeitsvermittlungen sollen durch Schulungsangebote mit Instrumenten der altersspezifischen Personalentwicklung vertraut zu machen,
- den Ausbau alters- und alternsgerechter Arbeitsplätze zu forcieren,
- Anstrengungen zu unternehmen, um das Instrument des betrieblichen Eingliederungsmanagements in sämtlichen Betrieben zur Anwendung zu bringen,
- die gesetzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes auszubauen und besser zu kontrollieren,
- die EU-Arbeitsschutzrichtlinie zur Stressprävention am Arbeitsplatz in eine nationalen Strategie umzusetzen,
- eine betriebliche Gesundheitsförderung auszubauen, die sich nicht nur auf Rückenschulungen und Angebote zur individuellen Stressbewältigung beschränkt, sondern sich den Herausforderungen eines immer komplexer werdenden Erwerbsarbeitslebens stellt,
- die Attraktivität von Langzeitkonten, Teilzeitoptionen oder temporäre Freistellungen, zu erhöhen, um mehr Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, sich weiterzubilden, sich zu erholen oder sich beruflich neu zu orientieren,
- sicher zu stellen, dass Langzeitkonten sowohl im Falle von Unternehmensinsolvenzen als auch im Falle individueller Hilfebedürftigkeit sicher sind und ArbeitnehmerInnen in Abstimmung mit betrieblichen Belangen über ihre Guthaben frei verfügen können.
- Maßnahmen für fließende Übergänge in den Ruhestand:
- eine Teilrente für Menschen ab 60 einzuführen, die ihre Arbeitszeit verringern. In der verbleibenden Arbeitszeit sind die Beschäftigten weiterhin uneingeschränkt versichert und können weiterhin Rentenansprüche aufbauen. Die Hinzuverdienstgrenzen sollen transparenter gestaltet und insbesondere für Geringverdienende verbessert werden.
- die Attraktivität der Teilrente für Menschen jenseits der Regelaltersgrenze zu verbessern, um einen längeren Verbleib in Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Für die Teilrente werden versicherungsmathematisch korrekte Rentenabschläge erhoben bzw. -zuschläge gezahlt.
- den Bezug einer Altersrente ab 60 Jahren mit versicherungsmathematisch korrekten Abschlägen zu ermöglichen. Dabei muss ausgeschlossen werden, dass erwerbsfähige Arbeitslose im SGB II-Bezug zwangsverrentet werden können.
- die Erhöhung der Regelaltersgrenze von 63 auf 65 Jahre für den abschlagsfreien Bezug einer Erwerbsminderungsrente und der Rente wegen Schwerbehinderung zurückzunehmen.
- Maßnahmen zum besseren Schutz vor Altersarmut
- eine Garantierente für langjährig Versicherte als Teil der Rentenversicherung, einzuführen durch die geringe Rentenansprüche auf ein Mindestniveau aufgestockt werden, das über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau liegt,
- ein obligatorisches Rentensplitting von Paare einzuführen, durch das Frauen höhere eigenständige Rentenansprüche erwerben,
- einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, um den Niedriglohnsektor zu verringern,
- prekäre Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen.
Berlin, 30. November Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
Begründung
Die Menschen hierzulande erreichen ein immer höheres Lebensalter. Nach den jüngsten Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bis zum Jahr 2030 um weitere drei Jahre steigen. Und nicht nur das: Die Menschen leben nicht nur länger, sie bleiben auch länger gesund.
Das sind gute Nachrichten. Sie stellen Gesellschaft und Rentenversicherung aber auch vor große Herausforderungen: Steigende Lebenserwartungen und sinkende Geburtenraten führen dazu, dass sich das Zahlenverhältnis der Alten zu den Jungen in den nächsten Jahrzehnten erheblich verändern wird. Wir werden mehr ältere Menschen haben und zugleich weniger junge. Renten werden nicht nur für mehr Rentner, sondern auch für längere Dauer gezahlt werden müssen. Schon zwischen 1960 und 2008 haben sich die Rentenbezugszeiten von knapp 10 auf 18 Jahre verlängert.
Es braucht also Reformen, damit unser Alterssicherungssystem auch unter den sich verändernden Bedingungen nachhaltig finanzierbar bleibt und vor Armut schützt. Die Rente muss auch für die junge Generation verlässlich und glaubwürdig sein. Dabei müssen wir darauf achten, dass Belastungen generationengerecht verteilt werden – zwischen den heutigen und zukünftigen Beitragszahlerinnen und -zahler ebenso wie zwischen den aktuellen und zukünftigen Rentenbezieherinnen und -bezieher. Vor diesem Hintergrund erscheint eine schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit sinnvoll, weil sie die Rentenversicherung doppelt entlastet: durch höhere Einnahmen einerseits und durch geringere Ausgaben andererseits.
Jenseits der volkswirtschaftlichen Wirkungen liegen in der Verlängerung der Lebensarbeitszeit Chancen für die einzelnen Menschen. Arbeit ist mehr als Existenzsicherung; sie ist auch Teilhabe und gewährt Jung und Alt gleichermaßen Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten. Viele Menschen können und wollen auch im Alter tätig sein. Dafür müssen der Arbeitsmarkt und die Alterssicherung Antworten bieten, die der Vielfalt der individuellen Lebensentwürfe und Vorstellungen gerecht werden. Die Erhöhung der Regelaltersgrenze ist nur dann das geeignete Instrument, wenn wirklich die Lebensarbeitszeit verlängert wird, und nicht Arbeitslosigkeit im Alter.
Das Stichwort «Rente mit 67» löst vielfach Ängste aus, die ernst zu nehmen sind. Unter den heutigen Arbeitsbedingungen ist es für viele Menschen kaum vorstellbar, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten, geschweige denn bis zum 67. Lebensjahr. Arbeit macht viele Menschen krank, immer mehr auch durch die Zunahme von Stress und psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Deswegen sind bessere Arbeitsbedingungen für alle eine unverzichtbare Voraussetzung, um länger arbeiten zu können. Für einen erfolgreichen längeren Verbleib im Arbeitsmarkt ist der Gesundheitszustand ausschlaggebend. Deshalb müssen Arbeitsförderung und Gesundheitsförderung eng miteinander verzahnt werden. Insbesondere für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in gesundheitlich belastenden Berufen brauchen wir sozialverträgliche Lösungen, die einen früheren Ausstieg oder einen fließenden Übergang in die Rente ermöglichen.
Die Erwerbsquote der Älteren steigt zwar stark an, ist aber immer noch gering, besonders bei Frauen. Zudem sagt die Erwerbsquote alleine noch nicht viel aus, vielmehr kommt es auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an. Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht zur Rentenkürzung durch die Hintertür werden soll, dann ist ein Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung der Älteren unabdingbar. Die zunehmende Flexibilität des Arbeitsmarkts hat es vielen Menschen ermöglicht, einen Arbeitsplatz zu finden. Wir verstehen die Rente mit 67 als unbedingte Aufforderung an die Unternehmen, mehr zu tun für altersgerechte Arbeitszeitmodelle und Arbeitsplätze sowie für kontinuierliche Weiterbildung und Qualifizierung auch der älteren Belegschaft. Die Politik ist bei diesem Ansinnen aber über das Ziel hinausgeschossen. Die Anzeichen sind deutlich: die Ausweitung des Niedriglohnsektors, zunehmende Leiharbeit, fehlende Mindestlöhne und die drastische Ausweitung befristeter Beschäftigung, unterbrochene Erwerbsbiographien. Gerade auch Jüngere werden im Vergleich zu Älteren keine wirklich bessere Bilanz der erwerbsbiografischen Belastung aufweisen, sofern sie prekäre Berufseinstiege und in der Folge auch lückenhafte Versicherungsbiografien haben. Gute Arbeit sieht anders aus. Diese Faktoren verunsichern die Menschen schon heute und tragen zur Altersarmut von morgen bei.
Überdurchschnittlich hohe Renten beziehen momentan vor allem Männer in ununterbrochener Erwerbstätigkeit in Vollbeschäftigung. Viele Frauen haben in der Vergangenheit diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zugunsten von Kindererziehung und Pflege von Angehörigen reduziert die eigenen Rentenansprüche für Frauen zum Teil erheblich. Sie sind zudem überdurchschnittlich oft in Teilzeit oder im Niedriglohnsektor beschäftigt, der Lohnabstand zu Männern liegt auch bei gleicher Bildung immer noch über 20 Prozent. Die unterschiedlichen Belastungen von Männern und Frauen müssen viel stärker als bisher angegangen werden, wenn eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit ins Auge gefasst wird. Es darf nicht vergessen werden, dass körperliche Belastungen am Arbeitsplatz nicht nur Dachdecker oder Bauarbeiter, sondern auch Frauen betreffen. Auch Verkäuferinnen, Sekretärinnen, Putzfrauen, Krankenschwestern oder und Beschäftigte mit formal niedriger Qualifizierung müssen oft harte körperliche oder psychisch belastende Arbeit leisten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es nach wie vor Frauen sind, die den größten Teil der Hausarbeit, der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen übernehmen – häufig neben einer Erwerbstätigkeit.
Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, damit diejenigen, die zu längerer Beschäftigung fähig sind, weil sie gute Arbeitsbedingungen haben und gesund sind, auch tatsächlich länger arbeiten können. Institutionelle Schranken, die dem im Wege stehen, müssen beseitigt werden. Denen, für die diese Voraussetzungen nicht gelten, müssen Wege offen stehen, früher in Rente zu gehen, ohne dass die Altersarmut steigt. Deswegen sind sowohl eine abschlagfreie Erwerbsminderungsrente ab 63 Jahren, als auch die Möglichkeit einer Teilrente ab 60 Jahren und eine Garantierente einführen, die wirksam vor Armut schützt.