Persönliche Erklärung zur Atalanta-Abstimmung

Gepostet am Donnerstag, den 2. Dezember 2010 um 17:50 in Frieden

Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages von Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann, Monika Lazar und Wolfgang Strengmann-Kuhn

zum TOP 11:
Antrag der Bundesregierung (17/3691): Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias

Den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Operation Atalanta lehne ich ab.

1. Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist in dem vorgelegten Antrag nicht ausreichend bestimmt festgelegt.
Es bleibt offen, in welchen Teilen des Indischen Ozeans die deutschen Streitkräfte eingesetzt werden sollen. Der Indische Ozean ist groß. Er reicht von Afrika bis Indien und Australien.
In der Begründung des Antrages wird ausgeführt, dass „infolge der internationalen Maßnahmen zur Pirateriebekämpfung vor der somalischen Küste die somalischen Piraten ihre Aktivitäten bis zu 1 300 Seemeilen weit in den Indischen Ozean ausgedehnt haben.“
In den Aufgaben für die Bundeswehr wird die „Überwachung der Gebiete vor der Küste Somalias“ genannt, ohne Festlegung wie weit die Gebiete vor der Küste reichen sollen (Nr. 3 c der Antrages)
Das Einsatzgebiet der Operation ATALANTA umfasst laut Antrag „zur See die Meeresgebiete innerhalb der Region des Indischen Ozeans vor der Küste Somalias und benachbarter Länder. Innerhalb dieses Einsatzgebietes wird auf Vorschlag des Oberkommandeurs ein zur Erfüllung seines Auftrages zweckmäßiges Operationsgebiet durch den Rat der EU bzw. dessen Gremium festgelegt.“

Ob zu dem Einsatzgebiet der Bundeswehr beispielweise die Meeresgebiete um die Seychellen oder vor der indischen Küste gehören, bleibt ungewiss.

2. Die Bundesregierung kümmert sich nicht um die Ursachen der Piraterie vor der Küste Somalias.
Fischer, denen von schwimmenden Fischfabriken im Meer vor Somalia die Existenzgrundlage geraubt wurde, wurden zu Piraten. Davon ist die frühere Bundesregierung informiert gewesen und ausgegangen, als sie über den Beginn der Beteiligung der Bundesmarine an der Operation ATALANTA entschieden hat. Das Auswärtige Amt hatte mir „einen erkennbaren Zusammenhand zwischen Piraterie und illegaler Fischerei bestätigt“.
Von 2006 bis 2009 waren – nach der Antwort der Bundesregierung auf die parlamentarische Anfrage 17/1287- im Indischen Ozean ein italienisches Ringwaden-Fischereifahrzeug sowie, in einzelnen Jahren in unterschiedlicher Zahl, auch französische und spanische Fischereischiffe aktiv. Sie waren daran beteiligt, Fischgründe vor Somalia, die zu den ertragreichsten der Welt gehört hatten, weitgehend leerzufischen. Eine 2009 veröffentlichte Studie der singapurischen „Rajaratnam School of International Studies“ besagt, dass vor der Küste Somalias jedes Jahr Fisch für 90 bis 300 Millionen Dollar illegal gefangen wird. Insgesamt sind laut Angaben der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO 700 Schiffe aus aller Welt beteiligt, die in mehreren Fällen einheimische Fischer mit Hochdruckschläuchen, kochendem Wasser und sogar Schusswaffen abgedrängt haben.
Inzwischen wird die Entführung von Handelsschiffen und deren Besatzungen mit anschließender Erpressung von zweistelligen Millionendollarbeträgen von den Redereien von international vernetzten Syndikaten organisiert. Die Piraterie ist zu einem Wirtschaftszweig geworden, durch den den Hintermännern in Somalia und am Golf der überwiegende Teil der erpressten Summen zufließen.
Auch wenn heute „Fischer nur in geringer Zahl, hauptsächlich aufgrund ihrer seemännischen Erfahrung, in Aktivitäten der Piraten involviert sind“, wäre es Aufgabe der Bundesregierung, lokale und nationale Fischereirechte durchzusetzen. Der Kampf gegen die Raubfischerei könnte den Piraten zudem die angegebene Legitimation für ihr verbrecherisches Handeln nehmen, weil sie sich nicht mehr als Kämpfer gegen internationale Kriminalität in Form von Raubfischerei ausgeben können..
Die Durchsetzung von Fischereirechten, die Regenerierung der Fischbestände und die gezielte Unterstützung der früheren Fischer und ihrer Familien an der Küste Somalias durch Versorgungs- und Entwicklungshilfe wäre der bessere Beitrag zur Eindämmung der Piraterie.
Die Herstellung staatlicher Strukturen und Verwaltung könnte den rechtlosen Raum beseitigen, in dem die Piraterie blüht und sich immer weiter ausdehnt.

Zu Unrecht setzt die internationale Gemeinschaft fast ausschließlich auf die Übergangsregierung (TFG). Diese ist durch Machtmissbrauch und Korruption gekennzeichnet. Sie wird von der Bevölkerung Somalias bis heute nicht als legitime Regierung akzeptiert. Ihre Einflussspähre ist auf nur wenige Teile der Hauptstadt beschränkt.
Laut Anti-Terrorismus-Zentrum «Gulf Research Centre» unterhalten die Islamisten, welche die Übergangsregierung bedrohen, keine direkten Kontakte zu den Piraten. Im Gegensatz zu Abdullahi Yusuf Ahmed, dem Übergangspräsidenten: Dieser schützt die Piraten gewollt oder unfreiwillig, denn er gehört zum Clan der Darod, aus dem viele der Piraten stammen. Und Abdullahi braucht dessen Milizionäre im Kampf gegen die Al-Shabaab-Islamisten.
Stattdessen müssen Gespräche mit allen dazu bereiten Kräften des Landes geführt, lokale Autoritäten eingebunden und unterstützt sowie Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit angeboten werden.
Erfolgreiche Beispiele in Süd-Ost-Asien machen vor, wie eine effektive Anti-Piraterie-Politik gestaltet werden kann: Durch konzertierte multilaterale Politiken, die sowohl die Strafverfolgung koordinierten als auch die sozio-ökonomische Lage der KüstenbewohnerInnen verbesserten, konnten Indonesien, Malaysia und Singapur die Piraterie in der Straße von Malakka nachhaltig reduzieren.

Aber im Mandat von ATALANTA und den übrigen Operationen ist dies nicht enthalten.

3. Zum Schutz der Versorgungsschiffe des Welternährungsprogramms (WEP) ist der Einsatz einer ganzen Armada von Kriegsschiffen und von bis zu 1400 Soldaten der Bundeswehr nicht notwendig.
Bisher wurde lediglich ein Schiff des WEP im Jahr 2007, also vor Beginn der Operation ATALANTA tatsächlich entführt. Das UN-Welternährungsprogramm wird viel stärker durch andere Faktoren gefährdet, etwa durch Korruption und Misswirtschaft. So soll nach dem Bericht der von der UNO eingesetzten Beobachtergruppe für den UN-Sicherheitsrat etwa die Hälfte der Nahrungsmittelhilfen in falsche Hände kommen (nämlich 30 % bei den Verteilerorganisationen oder WEP-Angestellten, 10 % bei Transportunternehmen sowie 10 % bei Milizen).
Schutz für diese WEP-Schiffe könnten in anderer Weise gewährt werden, etwa indem die Reedereien mehr Schutzvorkehrungen treffen und nach Möglichkeit besonders gefährdete Bereiche meiden, solange keine Vereinbarungen mit der Küstenbevölkerung getroffen werden konnten.

4. Die Operation ATALANTA, an der die Bundeswehr weiter beteiligt ist, soll wichtige Handelswege sichern. Dies ist nicht Aufgabe der Bundeswehr.

„Durch das Seegebiet vor Somalia und vor allem den Golf von Aden führt die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien. Deutschland hat als Exportnation an sicheren großes Interesse, zumal es gleichzeitig auf den Import von Rohstoffen angewiesen ist, die zu einem großen Teil auf dem Seeweg ins Land gelangen“. So steht es im Antrag der Bundesregierung. Darauf hat der Bundesverteidigungsminister jüngst öffentlich hingewiesen.

Piraterie gab es schon immer und gibt es noch heute auf vielen Meeren,
ohne dass dies bisher ein Grund für einen Einsatz der Bundeswehr war.

Im Jahr 2009 waren es weltweit nach Auskunft der Bundesregierung 455 Piraterievorfälle. Davon entfielen 155 auf den Golf von Aden und 96 auf den Indischen Ozean. So war die Straße von Malakka viele Jahre kaum passierbar, ohne von Piraten bedroht zu werden. Aber deutsche Wirtschaftsinteressen waren wohl weniger betroffen.

Der Schutz von Handelswegen und des Imports von Rohstoffen ist nicht Aufgabe der Bundeswehr. Handels- und Rohstoffkriege sind durch das Grundgesetz nicht gedeckt.

5. Der riesige Militäreinsatz von über 50 Kriegsschiffen ist kontraproduktiv.

Durch den Einsatz der EU, NATO und Schiffen vieler weiterer Nationen wurde die Piraterie nicht beseitigt oder auch nur eingedämmt. Die Piraten sind dem Druck ausgewichen. Die Zahl der Überfälle und Entführungen ist erheblich größer geworden. Derzeit befinden sich Hunderte von Menschen in Geiselhaft. 29 Schiffe sind gekapert in der Hand der Piraten. Die Lösegeldsummen sind rapide gestiegen. Das Operationsgebiet ist unendlich weit ausgedehnt worden bis zu den Seychellen und nahe an die Küste Indiens.
Ein Ende der Ausdehnung des Operationsgebiets ist nicht abzusehen. Immer mehr Meeresgebiete und Küstenregionen drohen in die Gewaltauseinandersetzungen einbezogen zu werden.