Können die Grünen Volkspartei?

Gepostet am Montag, den 27. Dezember 2010 um 10:51 in Grünes Profil

Veröffentlicht im Schampus

Die Grünen liegen in den Umfragen mittlerweile stabil zwischen 18 und 20%. Tendenz eher steigend. In Berlin liegen die Grünen erstmals vorne, in Baden-Württemberg vor der SPD, in beiden Ländern scheint eine grün-rote Regierung zumindest rechnerisch nicht ausgeschlossen, bei der Kommunalwahl in Hessen haben die Grünen in Frankfurt eine Chance auf Platz 2, in Darmstadt könnte es einen Grünen Oberbürgermeister geben usw. usw. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: sind die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei? Können wir das überhaupt? Auf die Frage , ob wir Volkspartei sein wollen, gehe ich am Ende ein. Vorher nehme ich Stellung zu den Fragen: Haben wir die nötige programmatische Grundlage? Haben wir eigentlich das Wähler_innen-Potenzial für eine Volkspartei? Sind wir darauf vorbereitet? Und was wäre notwendig, um das Projekt Grüne Volkspartei tatsächlich stemmen zu können?

1 Sind wir programmatisch darauf vorbereitet?

Mit dem Grünen Gesellschaftsvertrag haben wir ein Wahlprogramm vorgelegt, mit dem wir den Anspruch erheben, Politik für die ganze Bevölkerung und zusammen mit ihr zu machen. Der Grüne Gesellschaftsvertrag weist dabei noch über den Green New Deal, bei dem es um Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit geht, hinaus und stellt die grundsätzliche Frage: Wie wollen wir unter sich stark verändernden Rahmenbedingungen miteinander leben? Auf diese Fragen geben wir Antworten. Antworten auf die zentralen Probleme der Gesellschaft der Zukunft, mit denen wir mit der Bevölkerung insgesamt in einen Dialog treten wollen.

Mit dieser Ausrichtung haben wir in der Tat eine gute Grundlage für eine Volkspartei geschaffen, auch wenn sie natürlich noch ausbaufähig ist.

2 Haben wir das Wähler_innen-Potenzial?

Die anderen Parteien schrumpfen und machen Platz für Positionen, die gut zu unserem Profil passen. So vernachlässigt die CDU ihr christlich-soziales Klientel. Menschen, die sich in Wohlfahrtsverbänden wie Caritas und Diakonie oder in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung engagieren und traditionell eher der CDU nahe standen, finden ihre Werte immer besser bei uns vertreten. Denn es erweist sich immer mehr, dass unsere Positionen anschlussfähig an die katholische Soziallehre wie auch an die evangelische Sozialethik, die die Freiheit und Verantwortung des und der einzelnen betont, aber mit sozialer Sicherheit verbindet. Die CDU ist dagegen immer wirtschaftsliberaler geworden. Die FDP hat sich schon lange von sozial-liberalen Vorstellungen verabschiedet. Das Sozial-liberale vagabundiert seitdem irgendwo zwischen Grünen und SPD. Allerdings reduziert die SPD im Wettbewerb mit der Linkspartei das Soziale immer stärker allein auf die Arbeiter. Das mag helfen im Wettbewerb um sozialdemokratische Traditionalisten, die Verbindung von sozial und liberal bleibt dabei aber auf der Strecke. Auch hier ist Platz entstanden für eine sozial-liberale Partei, die beide Elemente ernst nimmt. Schließlich gibt es viele Menschen, die weiter links stehen, und für die Freiheit und Selbstbestimmung ein wichtiger Wert ist. Diese schwanken zwischen uns und der Partei Die Linke. Bei der Partei Die Linke haben sich aber eher traditionell orientierte Gewerkschafter_innen und Staatssozialist_innen durchgesetzt, während manzipatorische und linkslibertäre Positionen auf der Strecke bleiben. Mögliche Potenziale liegen also im sozial-liberalen-, im christlich-sozialen-, im bürgerlich-ökologischem, sowie im emanzipatorisch-linken, bzw. links-libertärem Umfeld.

Auch hier ein klares JA. Es gibt gute Gründe, warum sich 40 Prozent der WählerInnen vorstellen können, Grün zu wählen.

3 Sind wir strukturell darauf vorbereitet?

Eine große Herausforderung sehe ich darin, dass wir mehr Personal brauchen. Und zwar deutlich mehr Personal als wir derzeit haben. Wir haben schlicht zu wenig Mitglieder. Die Grünen sind schon jetzt die Partei, bei denen die Wähler_innenzahlen und die Mitgliederzahlen am weitesten auseinander liegen. Es wird uns aber nicht nur an der Basis fehlen, sonder auch an Mandatsträger_innen, vor allem auf kommunaler Ebene. Gerade in Ortsbeiräten ist es schon jetzt oft keine leichte Aufgabe, genug Menschen zu finden, die ihre Freizeit der Politik widmen. Eine weitere Herausforderung ist, dass wir finanziell nicht ausreichend ausgestattet sind. Schon jetzt ist es so, dass sich CDU und SPD vor allem durch die Mitgliedsbeiträge der, schrumpfenden, insgesamt aber immer noch hohen Mitgliedschaft finanzieren. Die FDP hat – wen wundert es – ein enormes Spendenpotenzial bei den von ihr mit Geldbeschenken überhäuften Wähler_innen und Unternehmer_innen. Die GRÜNEN verfügen weder über das eine noch das andere. An einem mehr an Mitgliedsbeiträge müssten wir noch arbeiten und den Weg der FDP sollten wir tunlichst unterlassen.

Wir sind zwar programmatisch vorbereitet, diese Programmatik und Beschlüsse sind aber nicht immer auch ausreichend in der Basis verankert. Insbesondere die Sozial- und Wirtschaftspolitik ist oftmals noch nicht bis in alle Schichten der Parteibasis durchgedrungen. Es gibt bei uns zwar zunehmend viele Expert_innen für Wirtschaft, Finanzen und Sozialpolitik. Es gibt viele Mitglieder, die sich in anderen Themen wohler fühlen und diese Themen lieber den Spezialist_innen überlassen. Wir brauchen weiterhin Parteimitglieder, die sich um Themen wie Ökologie, die Migration und Kultur kümmern, aber mit der Stoßrichtung Volkspartei brauchen wir breitere wirtschafts- und sozialpolitische Kompetenz und auch mehr Generalist_Innen und die Bereitschaft sich auch mit Fragen der Sozial-und Wirtschaftspolitik auseinanderzusetzen. Dabei kommt der innerparteilichen Weiterbildung, die bisher nur rudimentär stattfindet, eine wichtige Bedeutung zu.

Den Herausforderungen, die mit der Option Volkspartei verbunden sind, stellen wir uns gerne. Aber wir sind noch nicht so weit, diese tatsächlich von heute auf morgen auch stemmen zu können.

4 Was ist zu tun?

Um die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen, die eine Entwicklung zur Volkspartei mit sich brächten, bräuchten wir deutlich mehr Mitglieder, aber auch parteilose Mitstreiter_innen die bereit und Willens sind ihre Zeit und ihr Engagement mit Parteiarbeit zu verbringen. Auch die bereits vorhandenen Mitglieder müssen aktiviert und motiviert werden, sich stärker als bisher einzubringen. Für beide Aspekte und auch für eine stärkere Bindung der Mitglieder an die Partei ist es wichtig, dass die Parteiarbeit an Attraktivität gewinnt. Dafür ist eine Vernetzung mit der Gesellschaft und anderen Bewegungen unerlässlich. Denn nur wer ein gutes Sensorium für die Wirklichkeit hat, kann auf aktuelle Probleme sinnvoll reagieren.

Die erwähnte Verbreiterung der Programmatik muss von allen Teilen der Partei akzeptiert und mitgetragen werden. Deswegen ist ein parteiinternen Diskurs erforderlich, der mit generalisierten Zukunftsperspektiven arbeitet, aber auch Verständnis für die spezifischen Anliegen mitbringt.

Wir müssen stärker als bisher deutlich machen, dass zu unserem Kernprofil, nicht nur Ökologie, sondern auch Gleichheit und soziale Gerechtigkeit sowie Freiheit und Selbstbestimmung gehören. Dabei sollten wir nicht auf das 40 Prozent-Potenzial schielen, sondern mit einem klar gezeichneten Profil breite Mehrheiten für unsere Themen suchen und finden. Das wird nicht ohne Reibungen und Konflikte möglich sein, da beispielsweise ein christlich-soziales Lager andere Ansprüche an ein Programm stellt, als etwa ein ökologisch-bürgerliches oder ein emanzipatorisch-linkes. Das Kernprofil darf dabei nicht verloren gehen, sonst tritt eine Verwässerung ein, wie wir sie bei CDU und SPD finden.

Ein Konzept der neuen, alten, linken oder wie auch immer verorteten Mitte kann uns dabei nicht helfen. Denn in der Mitte wird man schnell orientierungslos. Ein Wettbewerb um die größten Ähnlichkeiten mit den anderen Parteien wäre völlig falsch. Denn wenn sich die Wahlprogramme aller Parteien immer mehr ähneln, dann fühlen sich die Wähler_innen von allen und niemandem vertreten. Das trägt zu Politik- und Demokratieverdrossenheit bei. Das kann nicht unser Ziel sein. Dieses Zeichen der Mutlosigkeit müssen wir dringend vermeiden. Die Perspektive sollte sein, eine ökologische und sozial-liberale Partei, eine linke, ökologisch denkende Partei der Freiheit zu bleiben und immer wieder zu werden. Dieses Profil ist durchaus geeignet neue Wähler_innen im bürgerlichen Spektrum ansprechen, ohne unsere sozial-liberale und links-emanzipatorische Stammklientel zu verlieren.

Das anhaltende Umfragehoch sollten wir nicht einfach abtun. Es ist zwar richtig, dass eine Umfrage noch lange kein Wahlergebnis ist. Aber wir sollten auch nicht davon ausgehen, dass die Blase ohnehin bald platzen wird. Es gibt keinen Grund abzuheben und uns Schulternklopfend auszuruhen. Die Umfragen sollten für uns Ansporn und Ermutigung sein. Große Herausforderungen und viel Arbeit liegen vor uns. Die können wir nur gemeinsam bewältigen.

5 Kommentare zu "Können die Grünen Volkspartei?"

  1. Hannemann, Dieter Steffen sagte,

    am 3. Januar 2011 um 06:49

    „Wir müssen stärker als bisher deutlich machen, dass zu unserem Kernprofil, nicht nur Ökologie, sondern auch Gleichheit und soziale Gerechtigkeit sowie Freiheit und Selbstbestimmung gehören. “
    Mit den Grundeinkommen ist ein selbstbestimmtes freies Leben für jeden möglich! Die Arbeitsideologie muss endlich überwunden werden, dabei sollte die Frage gestellt werden: Wenn immer mehr Arbeitnehmer keine Arbeit finden, weil Roboter das besser können und immer mehr Arbeitsplätze weg-rationalisiert werden, wer soll dann die vielen Waren und Dienstleistungen konsumieren, wenn immer weniger AN mit immer weniger entlohnt werden?
    Was Roboter alles schon besser können:
    http://www.facebook.com/pages/BGE-Roboter-konnen-alles-besser/177235832301157?v=app_2373072738#!/pages/BGE-Roboter-konnen-alles-besser/177235832301157

    Bitte unterstützen Sie diese Unterschriftenaktion und rufen auch Sie zur Demo Sa 22.1. Berlin HBF auf – vielen Dank!
    http://grundeinkommen-attac.de/index.php?id=7639

  2. Irmtraud Kemmeter sagte,

    am 3. Januar 2011 um 11:09

    Die Grünen haben während ihrer rot/grünen Regierungszeit gezeigt, wozu sie fähig sind : Auslandseinsätze der Bundeswehr, Hartz IV, Gesundheitsreform, die eine Gesundstoßreform für die Pharmaindustrie ist, quasi Verbot der homöopathischen und anthroposophischen Arzneimitteln, persönliche Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler (Flugmeilen/Cem Özdemir) und, und,und, und,…..
    So gesehen, sind die Grünen eine Volkspartei, genauso wie alle anderen Parteien. Der hohe Anspruch mit dem die Grünen einst angetreten sind, ist bestenfalls eine hohle Phrase.
    Ich habe mein Vertrauen längst verloren!

  3. Krasser Paul sagte,

    am 4. Januar 2011 um 11:45

    Lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn,

    ich verstehe einige meiner Mitbürger und Mitbürgerinnen nicht, wenn sie immer Auslandseinsätze, Hass4 und anderes gegen die Grünen und im Prinzip gegen die parlamentarische Demokratie anführen. Fakt war damals, daß die Grünen der kleinere Koalitionspartner waren, fakt weiterhin, daß rotgrün so gerade mal über 50% hatte. Die Bevölkerung ist eben gespalten. Was will man da machen? Dieses Grünenbashing hat auch etwas zutiefst Undemokratisches, denn es läuft auf die Forderung hinaus, auch bei nur 10% Zustimmung, sein „Programm“ eben dann gegen den Willen der Mehrheit durchzudrücken.

    Schließlich aber glaubt jeder für sich, er hätte auf alle Probleme des großen Globus und des kleinen Zuhauses die einzig wahre Lösung. Wenn wir alles befolgen würden, gäbe es auf dem Globus keine Menschen mehr. Die einen sind wegen selbstverschuldeter Not verhungert, die anderen in ihre „Heimatland“ abgeschoben, die nächsten exekutiert, ganze Völker hätten sich im Namen der Selbstbestimmung ausgerottet usw. Eine tolle Erdgesellschaft, man fühlt sich richtig zu Hause.

    Vielleicht haben die Grünen ja deswegen eine Chance, eine „Volkspartei“ zu werden, weil es doch recht viele „unpolitische“ und eher praxisinteressierte Menschen gibt, die das allgemeine Politgemetzel, wer ist schuld, welches höhere Prinzip ist das einzig wahre usw, einfach nur satt haben. Die Parole „erstmal bei sich im Kleinen anfangen“, die mir immer kindisch vorkam, hat im Laufe der Jahrzehnte Spuren hinterlassen, nicht direkt sichtbar, doch durchaus „nachhaltig“ und viele Bürger wollen vielleicht etwas größere Schritte wagen?

    Einstmals als „Fanatiker“ in den Bundestag eingezogen, wirken die Grünen heute wie „Realos“ unter den sonstigen Politfanatikern, die auf dem Stand der 80er Jahre stehen geblieben zu sein scheinen. Schon den Ruf „wir müssen Arbeitsplätze schaffen“ können viele Menschen nicht mehr hören.

    Das „Bodenständige“ merkt man besonders, wenn es um neue Projekte geht, wie z.B. das Bedingungslose Grundeinkommen. In der SPD haben wir eine kalte Front aus Stahlbeton. Ohne „Hilfebedürftige“ in möglichst großer Anzahl, die man (auch gegen ihren Willen) „betreuen“ kann, kommen die Genossen nicht mehr zurecht (Menschen sind zum Betreuen geschaffen).
    Die „die Linke“ droht in dieser Frage zu zerbrechen (BGE nur wenn „Arbeitgeber“ dabei richtig bluten, alles andere ist neoliberal). Die FDP-Fritzen kommen von ihrem Bestrafungstrip nicht herunter (Menschen darf man nicht lieben, man muß sie hassen, besonders wenn sie „arm“ sind).
    Nur in der CDU/CSU findet man übrigens häufiger „normale“ Leute, daher sind wohl auch die grünschwarzen Koalitionen verständlich.

    Bei den Grünen wird das BGE relativ ohne Fanatismus diskutiert. Bis zum Jahre 2013 könnte daraus noch etwas werden. Was mich etwas wundert ist, daß die Grünen ihre Herkunft vergessen zu haben scheinen. Diese bestand ja mal in „alternativen“ Arbeits- und Lebensformen. Sie sind keineswegs ausgestorben! An vieles haben sich die Menschen gewöhnt und sehen z.B. in einem Kinderbauernhof mitten in einer ansonsten trostlosen Stadt durchaus eine Bereicherung. Für die Weiterentwicklung solcher „antikapitalistischer“ Arbeits- und Lebensformen wäre das BGE wie dafür geschaffen. Hier wäre also etwas mehr „Bodenständigkeit“ kein Fehler: nicht nur die abstrakte Idee darstellen und die Menschen mit auf den cent berechneten Zahlen und neuen Begriffen („Soziokulturelles Existenzminimum“) langweilen, sondern aufzeigen was sich mit der Idee im lebendigen Leben alles machen ließe; so dürfte man möglicherweise auch auf größere Unterstützung aus der Bevölkerung rechnen. Lautet die Frage nicht ganz konkret: „in welcher (Erd-)Gesellschaft wollen wir leben“?

  4. Irmtraud Kemmeter sagte,

    am 4. Januar 2011 um 19:26

    Na, krasser Paul, jetzt haben Sie es mir aber gegeben.
    Ich glaube die Grünen sollten, anstatt sich bei der CDU weiter anzubiedern, vielleicht doch mal überlegen, warum sie so viele ihrer Wähler verloren haben!
    Im übrigen denke ich, dass die sogenannte Parteien-Demokratie nicht zukunftstragend ist!
    Die Euphorie der Grünen, erinnert mich übrigens an die, der FDP vor 2 Jahren, hi, hi!

  5. Paul H. Hentze sagte,

    am 22. Januar 2011 um 04:27

    Ich finde es klingt soweit ganz gut, jetzt muss es nur noch so von der Mehrheit getragen und umgesetzt werden.
    Viel Glueck dabei.