Warum ich für ein vollständiges Verbot der PID bin
In den nächsten Monaten muss der Bundestag darüber entscheiden, ob es in Ausnahmenfällen eine Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, geben darf und wenn ja, bei welchen Ausnahmefällen. Es geht dabei um die genetische Untersuchung von künstlich befruchteten Eizellen. Dies ist insbesondere für Frauen bzw. Paare von Bedeutung, die befürchten müssen, dass eine Erbkrankheit auf die Kinder weitergegeben wird. Darüber hinaus wäre aber auch denkbar, dass weitere Merkmale genetisch untersucht werden, z.B. das Geschlecht oder sonstige erbliche Veranlagungen. Letzteres will in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren aber niemand.
Für Frauen und Paare, die vor der Entscheidung zu stehen, entweder kein eigenes Kind zu bekommen oder wenn, dann nur unter einem hohen Risiko, dass es eine schwere Krankheit bekommt oder sogar gar nicht lebensfähig ist, ist es eine emotional ausgesprochen schwierige Situation. Für die Politik ist es allerdings wichtig, sich nicht nur von dieser subjektiven Emotionalität leiten zu lassen, sondern die Entscheidung so weit dies möglich ist, zu versachlichen und auch Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft mit zu berücksichtigen. Letztlich ist eine Abwägungsentscheidung notwendig. Diese ist– egal wie sie am Ende ausfällt – in der einen oder anderen Weise unbefriedigend. Es gibt hier keine „richtige“ und keine „beste“ Entscheidung. Für alle drei dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe gibt es gute Gründe. Alle drei Gesetzentwürfe wollen die PID verbieten, weil niemand vorhat, zu erlauben, dass Eltern das Geschlecht, das Aussehen, besondere Eigenschaften oder die Intelligenz eines Kindes bestimmen können sollen. Zwei der Gesetzentwürfe wollen allerdings Ausnahmen zulassen. Der dritte Gesetzentwurf, den ich unterzeichnet habe, nicht.
Zunächst einmal sollte sich bewusst gemacht werden, vor welcher Entscheidung die Betroffenen stehen. Es geht darum, vor der Zeugung eines Kindes, eine Entscheidung zu fällen. Dabei gibt es folgende vier Möglichkeiten: 1) eine Zeugung oder künstliche Befruchtung ohne PID, 2) eine künstliche Befruchtung mit PID, 3) kein Kind zu bekommen oder 4) ein Kind zu adoptieren. Damit unterscheidet sich die Situation von der Frage einer Abtreibung, bei der das Kind schon gezeugt ist und als Embryo bereits existiert. Hier gibt es dann nämlich nur noch die Abwägung zwischen zwei Alternativen. Der Gesetzgeber hat sich hier dafür entschieden, dass es sich dabei um eine solch schwerwiegende Abwägung handelt, die letztlich nur die Mutter entscheiden kann. Deswegen ist eine Abtreibung zwar verboten, aber straffrei. Und halte ich für richtig.
Bei der PID handelt es sich hingegen zwangsläufig um eine Selektion. Das macht für mich einen wesentlichen Unterschied aus. Es werden mehrere künstliche Befruchtungen durchgeführt und die Mutter muss bzw. die Eltern müssen daraus letztlich auf Basis der PID eine Auswahl treffen, welches Embryo eingesetzt wird und überleben darf. Schon dieses ist eine moralisch schwierige Entscheidung. Noch kritischer finde ich allerdings die vorgelagerten Schritte, nämlich die Entscheidung, darüber, welche Paare bzw. welche Frauen überhaupt für eine PID zugelassen werden. Eine komplette Freigabe will niemand. Deshalb braucht es zu einer Bestimmung der Ausnahmen eine gesetzliche Regelung. Darüber hinaus soll nach den beiden Gesetzentwürfen, die Ausnahmen vorsehen, eine Ethikkommission in jedem einzelnen Fall entscheiden, ob eine PID vorgenommen werden darf oder nicht. Das finde ich hochgradig problematisch. Im Grunde genommen müsste es eine Art „Negativliste“ für lebensunwertes Leben für bestimmte Krankheiten bzw. Behinderungen geben, für die gesetzlich festgeschrieben wird, dass dann eine PID erlaubt ist, wenn das Risiko für eine dieser Krankheiten oder Behinderungen besteht.
Außerdem muss entschieden werden, ab welcher Wahrscheinlichkeit eine PID vorgenommen werden darf. Bei einer geringeren muss die Mutter bzw. müssen die Eltern mit dem Risiko leben.
Darüber hinaus muss nach den beiden Gesetzentwürfen eine Ethikkommission die individuellen Umstände berücksichtigen und die Einzelfälle ergebnisoffen prüfen, d.h. in bestimmten Fällen müsste die Ethikkommission sagen, dass eine PID nicht erlaubt ist. Eine Kommission soll also über Leben und Tod entscheiden? Mit Selbstbestimmung hat das nicht mehr viel zu tun. Ich finde, der Staat darf solche Regelungen nicht treffen. Und zwar deshalb, weil dann staatlich bestimmt ist, was „unwertes“ Leben ist. Viele Behinderte und Behindertenverbände weisen zu Recht darauf hin, wie sich ein Mensch fühlen muss, der nach diesen Kriterien bei einer PID aussortiert worden wäre. Siehe dazu u.a. das Interview mit Peter Radtke in der Frankfurter Rundschau (http://www.fr-online.de/panorama/-ich-leide-nicht-/-/1472782/8340728/-/index.html)
Einer der beiden Gesetzentwürfe, die Ausnahmen zulassen, berücksichtigt diesen Einwand. Eine PID soll nur zur Überprüfung zugelassen werden können, ob das Kind eine Überlebenschance hat. Ich finde diese Argumentation vertretbar, befürchte aber, dass eine solche Ausnahmeregelung auf Dauer nicht zu halten ist, sondern aufgrund der Möglichkeit, weitere Überprüfungen durchführen lassen zu können, der Druck steigt, dieses auch zu tun. Auch die Pränataldiagnostik (PND), also die genetische Untersuchung eines Embryos während der Schwangerschaft, war ursprünglich nur für Ausnahmen vorgesehen. Mittlerweile wird sie fast standardmäßig durchgeführt und dabei Druck auf Frauen ausgeübt, die das nicht wollen. Zu befürchten ist, dass es bei der PID eine Entwicklung gibt, die sogar über die Ausnahmen, die die bisherigen Gesetzentwürfe vorsehen, hinausgehen kann. Deshalb bin ich für ein vollständiges Verbot der PID.
Mir ist bewusst, dass dies für die betroffenen Frauen und Paare eine erhebliche Einschränkung bedeutet, weil die Folge ist, dass sie, wenn sie ein eigenes Kind bekommen möchten, ein teilweise inakzeptables Risiko eingehen müssen. Es gibt allerdings kein Recht auf ein eigenes Kind und da es die beiden Alternativen gibt, kein Kind zu haben oder ein Kind zu adoptieren, scheint mir diese Einschränkung eher hinnehmbar als die gesellschaftlichen Folgen und Risiken, die eine Erlaubnis von Ausnahmen von der PID haben kann.
Die drei Gesetzesentwürfe:
am 16. April 2011 um 17:47
Im Großen und Ganzen schlüssig argumentiert, der Hinweis, dass es „allerdings kein Recht auf ein eigenes Kind“ gibt, erinnert mich jedoch ein bisschen an die vormalige ein-Kind-Politik Chinas…
am 19. Mai 2011 um 18:23
Mir fällt auf, wie wenig das international diskutierte Thema der Langzeitschäden beim Nervensystem durch das Procedere der PID beim „überlebenden“ Kind in Deutschland eine Rolle spielt.
(siehe: http://www.mcponline.org/content/8/7/1490.abstract)