Armut im Alter: Kein Randproblem mehr
in: AKP-Fachzeitschrift für Alternative Kommunalpolitik, 5/2011, S. 49ff.
von Katrin Göring-Eckhardt und Wolfgang Strengmann-Kuhn
Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit stellt sich global wie national und sie schließt alle ein, jüngere wie ältere Menschen. Wenig beachtet wurde bisher die zukünftige Gefährdung durch Altersarmut. Noch im letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2008 tauchte das Thema Altersarmut nicht als Problem auf. Im Gegensatz zu anderen Altersgruppen war damals das Altersarmutsrisiko nicht angestiegen und lag unter dem Durchschnitt. Aber die Schere zwischen Arm und Reich geht auch im Alter zunehmend auseinander. Auf der einen Seite haben wir die Gruppe der von Armut bedrohten, auf der anderen diejenigen, die mit gesetzlicher und privater Alterssicherung und oft zusätzlichen anderen Einkommen und Erbschaften gut bis sehr gut ausgestattet sind. Zwar bezogen im Jahr 2009 nur 2,4 Prozent der über 65-Jährigen Grundsicherung im Alter, im Vergleich dazu bezogen 9,1 Prozent der 15- bis 65-Jährigen Leistungen aus dem SGB II. Aber Prognosen gehen davon aus, dass im Jahre 2025 bereits jeder zehnte alte Mensch auf Grundsicherung angewiesen sein wird. Das bedeutet, dass sich der Anteil der Bedürftigen vervierfachen wird! Wird die Armutsrisikoquote, also ein Einkommen unter 60% des mittleren Einkommens, als Maßstab herangezogen, liegt das der Älteren ab 65 Jahren 2009 nur noch knapp unter dem Durchschnitt. Das Armutsrisiko der Gesamtbevölkerung lag je nach Datensatz zwischen 14,5 und 15,5 Prozent, aber schon 13,3 bzw. 15,0 Prozent der älteren Menschen hatten ein Einkommen unter der Armutsrisikogrenze. Das sind weit über zwei Millionen Menschen. Altersarmut ist also schon heute dringliches Thema. Alleine aufgrund der demographischen Entwicklung würde sich diese Zahl in der Zukunft deutlich erhöhen, selbst wenn das Altersarmutsrisiko nicht steigen würde, einfach weil die Zahl der Älteren wächst.
Zahlreiche wissenschaftliche Institute und Wohlfahrtsverbände gehen aber sogar von einem Anstieg des Altersarmutsrisikos aus. Ursachen sind u.a. das sinkende Rentenniveau, die andauernde Massenarbeitslosigkeit, unterbrochene Versicherungsbiographien und der Anstieg des Niedriglohnsektors. Wenn wir jetzt nichts tun, droht eine Altersarmutswelle auf uns zu zurollen. Dabei ist Armut im Alter besonders schwerwiegend, weil ältere Menschen wenige Möglichkeiten haben, diese Situation aus eigener Kraft zu überwinden. Wer im Alter arm ist, wird arm sein bis zum Lebensende, wir sprechen hier von ‚verhärteter Armut‘. Diese Gefährdung der Lebenschancen Älterer durch Armut findet immer noch zu wenig Beachtung. Darüber hinaus geht gerade Altersarmut mit vielfältigen Einschränkungen einher: Sie betrifft die Wohnqualität, die Ernährung, die Kleidung oder den Aktionsradius. Beschränkungen des Aktionsradius erschweren die soziale Integration und die gesellschaftliche Teilhabe und erhöhen die Gefahren sozialer Isolation und Ausgrenzung.
Die ersten Vorboten des Anstiegs der Altersarmut sind schon jetzt zu beobachten. So ist die Anzahl der Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung im Alter von 2003 bis 2008 von 250.000 auf über 400.000 angestiegen und die durchschnittliche Rente von Neurentnerinnen und -rentnern ist von deutlich über 700 € im Jahr 2000 auf 686 € im Jahr 2009 gesunken. Denn allmählich erreichen diejenigen das Rentenalter, die erhebliche Brüche in ihrer Erwerbsbiografie aufzuweisen haben, besonders, aber längst nicht nur im Osten der Republik: Langzeitarbeitslose, Teilzeitbeschäftigte oder solche, die nach befristeten Arbeitsverträgen immer wieder für Wochen oder Monate arbeitslos waren. Oder diejenigen, die in ihrem Leben meist nur geringe Löhne bekommen, wie oft die Migrantinnen und Migranten. Sie haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko im Alter in Armut zu leben. Berücksichtigt werden müssen aber auch die großen Unterschiede innerhalb dieser Gruppe, kulturelle Besonderheiten sowie verschiedene Ressourcen. Je nach Herkunftsland, Einwanderungsgeneration und sozialem Status zeigen sich große Unterschiede. Dazu kommen zunehmend Selbständige in einer prekären Einkommenssituation, insbesondere Soloselbständige: allein heute leben eine Millionen von ihnen mit einen Nettogewinn von weniger als 1.100 Euro monatlich – so sind sie nicht in der Lage, für das Alter vorzusorgen, eine Versicherungspflicht gibt es darüberhinaus nur für die wenigsten unter ihnen. Die Armut im Alter ist im Grunde vorprogrammiert.
Waren von Altersarmut in der Vergangenheit vor allem Frauen betroffen, so sind heute auch zunehmend Männer in Armut: Beispielsweise stieg die Altersarmutsquote der Männer in den neuen Bundesländern in den letzten Jahren um das 2,5-fache. In strukturschwachen Gebieten, die es in allen Bundesländern gibt, deren Konzentration aber in Ostdeutschland am stärksten ist, verdichten sich die Altersarmutsursachen mit den entsprechenden Folgen. So sind zum Beispiel Frauen in Ostdeutschland doppelt so lange arbeitslos wie Frauen im Westen (im Vergleich 8,6 Jahre im Osten und 4, 9 im Westen). Deutlich wird: Trotz der zunehmenden Problematik auch bei Männern sind und werden Frauen stärker von Altersarmut betroffen sein, weil sie eine niedrigere Beschäftigungsquote aufweisen, häufiger im Niedriglohnbereich beschäftigt sind und größere Lücken in ihrer Erwerbsbiographie aufgrund von Familienarbeit aufweisen.
Viele Menschen mit Behinderung werden aufgrund ihrer lebenslangen Einkommenssituation auch im Alter auf Unterstützung angewiesen sein. Denn die Ursache der Altersarmut von Menschen mit Behinderung ist in erster Linie ihre schlechte Arbeitsmarktsituation, sie sind häufiger arbeitslos als Nichtbehinderte und haben ein niedrigeres Einkommen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich von heute 2,1 Mio. bis 2050 verdoppeln. Natürlich sind nicht alle Pflegebedürftigen arm, trotzdem steigen die Aufwendungen für die Sozialhilfe zur Pflege insgesamt. Bundesweit werden mehr als 700.000 Menschen in Pflegeheimen versorgt, von diesen beziehen 40% ergänzende Sozialhilfe.
Altersarmut ist in erster Linie ein Mangel an Einkommen. Aber diese finanzielle Dimension der Armut geht in der Regel mit einer Vielzahl an Benachteiligungen einher. Folgen sind häufig soziale Vereinsamung, eine mangelhafte Wohnsituation, eine schlechtere medizinische Versorgung, Beschränkungen bei Ernährung und Kleidung oder des Aktionsradius, gefühlte und reale Machtlosigkeit und nicht zuletzt das Gefühl wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Altersarmut macht unfrei.
Grüne Politik ist darauf ausgerichtet, die Freiheitsspielräume vor allem der Schwächsten zu erweitern. Insbesondere im Alter muss es deshalb um mehr als um eine finanzielle Basissicherung gehen. Doch ist eine finanzielle Absicherung notwendige Bedingung für die Teilhabe an der Gesellschaft. Deswegen muss einerseits die Grundsicherung im Alter sowie bei Erwerbsunfähigkeit verbessert werden, andererseits müssen Maßnahmen ergriffen werden, die den Grundsicherungsbezug möglichst verhindern. Deshalb ist es notwendig, die Rentenversicherung so zu reformieren werden, dass sie besser vor Armut und Grundsicherungsbezug schützt. Dabei ist es wichtig, dass Frauen eine eigenständige Sicherung erhalten. Außerdem ist es wichtig, bei einer Reform der Rente darauf zu achten, dass sich Eigenvorsorge und Beitragszahlungen lohnen. Eine solche Reform hin zu einer Rente, die besser vor Armut schützt, eine eigenständige Absicherung beinhaltet und bei der sich die Beitragszahlung lohnt, würde insgesamt die Akzeptanz der Rentenversicherung erhöhen.
Um eine bessere Sicherung gegen Armut innerhalb der Rentenversicherung zu erreichen, muss sowohl in der Erwerbsphase angesetzt werden als auch in der Ruhestandsphase. Durch die schrittweise Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung, bei der alle Erwachsenen unabhängig vom Erwerbsstatus auf alle Einkommen Beiträge zahlen, können ungesicherte Phasen in der Zukunft besser abgesichert werden. Außerdem ist aus grüner Sicht ein obligatorisches Rentensplitting notwendig, damit vor allem Frauen höhere eigenständige Rentenansprüche aufbauen. Gleichzeitig muss durch die Einführung einer Garantierente Armut im Alter effektiv und zielgenau bekämpft werden. Durch die Garantierente werden niedrige Rentenansprüche auf ein Mindestniveau so aufgestockt, dass sie für langjährig Versicherte über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau liegen. Eigene Rentenansprüche sollen dabei nur zum Teil auf die Garantierente angerechnet werden, damit die, die mehr Beiträge einzahlen, auch eine höhere Rente erhalten.
Klar ist: Es gibt nicht den einen Lösungsansatz zur Prävention und zur Bekämpfung der Altersarmut. Wir brauchen ursachenadäquate Strategien zur Vermeidung von Altersarmut und eine Palette von Maßnahmen zum Umgang mit der Altersarmut. Diese müssen zum einem die finanzielle Situation verbessern und zum anderem das Leben mit seinen täglichen Herausforderungen und Einschränkungen betrachten und Lösungsmöglichkeiten entwickeln.
Bei der Prävention von Altersarmut stehen die arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Vordergrund: Einführung eines Mindestlohnes, Jobperspektiven für Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Integration von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, aber eben auch ein ausreichendes Betreuungsangebot für Kinder. Wir brauchen eine Reform der Pflegeversicherung, die vor Armut schützt und nicht zu Armut führt.
Ziel grüner Armutspolitik ist die Ermöglichung von Teilhabe für Alle. Neben der finanziellen Absicherung sind darüber hinaus insbesondere für alte Menschen zahlreiche Maßnahmen notwendig, um eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Hier sind alle Ebenen der Politik gefordert. Zum Beispiel in den strukturschwachen Gebieten, deren Konzentration in Ostdeutschland am stärksten ist, werden die verstärkt auftretenden Armutsursachen zu einem flächendeckenden Problem, für das es neben individuellen Lösungen noch strukturelle Lösungsansätze braucht. Denn dort, wo die Altersarmut weit verbreitet ist, sind Infrastruktur und die Versorgung der Menschen vor ganz andere Aufgaben gestellt. Der öffentliche Nahverkehr muss bezahlbar sein und darf gerade im ländlichen Bereich nicht weiter ausgedünnt werden, die ärztliche Versorgung muss ortsnah organisiert werden, Einkaufsmöglichkeiten müssen vor Ort erreichbar sein. Es darf gerade in Großstädten nicht zur Ghettoisierung von Menschen mit geringen Einkommen kommen, wir brauchen bezahlbaren Wohnraum in allen Stadteilen. In Zeiten knapper Kassen in Kommunen und Landkreisen ist hier Kreativität und Offenheit für unkonventionelle Lösungen gefragt.
am 12. September 2011 um 12:42
Hallo, Ihr beiden! Mir ist nicht deutlich, welchen Kurs ihr verfolgt.. Ist es sinvoll bei derzeitiger Geldwertunsicherheit auf „Ansparung“ zu setzen? Ist etwa vielmehr das Umlageverfahren neu zu überdenken und zu stärken? Erfassung aller Einkünfte, außer Transferleistungen! Freundlich grüßt Heinrich.