Bewertung der Vorschläge des BMAS zur Bekämpfung von Altersarmut

Gepostet am Sonntag, den 11. September 2011 um 15:22 in Altersarmut,Alterssicherung

Ursula von der Leyen hat Vorschläge der Bundesregierung zur Bekämpfung von Altersarmut vorgelegt. Diese sollen in den nächsten Monaten in einem so genannten „Regierungsdialog Rente“ mit der Rentenversicherung, den Sozialpartnern, Sozialverbänden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert werden. Die Vorschläge des BMAS zielen neben Verbesserungen bei den Hinzuverdienstgrenzen bei vorzeitigem Renteneintritt, die zwar vom Grundsatz her zu begrüßen sind, aber wenig zur Vermeidung von Altersarmut beitragen, im Wesentlichen auf zwei Bereiche:
1. Die Einführung einer Zuschuss-Rente
2. Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente

1. Die Einführung einer Zuschuss-Rente

  • Die Zuschuss-Rente soll gezahlt werden, wenn alle Alterseinkommen unterhalb von 850 Euro liegen.
  • Der Zuschuss soll die Lücke bis 850 Euro schließen
    berechtigt sind alle Altersrentner über 65 sein, wenn sie
  • a. mindestens 35 Jahre Beitragszeiten, in denen Beiträge gezahlt werden, d.h. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Kindererziehung (3 Jahre pro Kind), Pflege von Familienangehörigen, Zeiten mit Arbeitslosengeld I-Bezug sowie bis zur Abschaffung der Beiträge im letzten Jahr Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Arbeitslosengeld II-Bezug.

    b. und zudem mindestens 45 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten insgesamt, das sind zusätzlich u.a. Kindererziehungszeiten bis zu 10 Jahren pro Kind, Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Beitragszahlung und bis zu acht Jahren Ausbildungszeiten.

    c. und darüberhinaus mindestens 35 Jahre an betrieblicher Alterssicherung oder Riester-Rente vorweisen können (Vorsorgeaufwand durchschnittlich 3 Prozent). Letztere Bedingung wird bis 2046 schrittweise von 5 auf 35 Jahre erhöht

  • Die Zuschuss-Rente startet mit erleichterten Zugangsbedingungen (30 Jahre Beitragszeiten, 40 Jahre Versicherungszeiten und 5 Jahre an zusätzlicher Vorsorge)
  • Partnereinkommen, das oberhalb von 850 Euro liegt, wird angerechnet. Zusammenlebende Partner können, sofern beide die Voraussetzungen erfüllen, die Zuschuss-Rente getrennt voneinander bekommen. Alterseinkommen können so auf maximal 1.700 Euro (2 mal 850 Euro) aufgestockt werden
  • Die Leistung wird ausschließlich von der Deutschen Rentenversicherung Bund administriert
  • Die Finanzierung erfolgt über den Bundeshaushalt
  • Die Zuschuss-Rente gilt nur für zukünftige Rentnerinnen und Rentner, nicht für Menschen, die jetzt schon Rente beziehen.

Beurteilung: Grundidee richtig, aber völlig unzureichend

Schon jetzt steigt Altersarmut in Deutschland an und wird ohne Gegenmaßnahmen in Zukunft massiv zunehmen. Alle Reformvorschläge und Maßnahmen müssen sich also messen lassen an ihrer Wirksamkeit im Kampf gegen Altersarmut. Die Zuschuss-Rente verfehlt das Ziel Altersarmut wirksam zu bekämpfen aus mehrerlei Gründen:

  1. Der Personenkreis ist viel zu eng gefasst. Immer weniger Menschen erreichen 40 oder gar 45 Versicherungsjahre. Der am stärksten von Altersarmut bedrohte Personenkreis – Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und/oder Menschen, die lange Zeit niedrige Einkommen bezogen haben, Menschen, vor allem in Ostdeutschland, die keine zusätzliche private Altersvorsorge betreiben konnten – wird auch bei der Zuschuss-Rente außen vor gelassen.
  2. Keine eigenständige Mindestsicherung. Partnereinkommen oberhalb von 850 € werden angerechnet, was sich insbesondere auf Frauen negativ auswirkt. Altersarmut ist weiblich, das zeigen empirische Zahlen. Ziel sollte demzufolge eine eigenständige Mindestsicherung sein, also grundsätzlich unabhängig vom Einkommen des Partners oder der Partnerin.
  3. Bestehende Altersarmut wird nicht bekämpft. Schon jetzt haben mehr als zwei Millionen Menschen, die 65 Jahre und älter sind, ein Einkommen unter der EU-Armutsrisikogrenze, die bei 929 € für einen Alleinstehenden und ca. 1400 € bei Paaren liegt. Altersarmut ist also nicht nur ein Problem der Zukunft. Deswegen ist es falsch, dass derzeitige Rentnerinnen und Rentner keine Zuschuss-Rente erhalten.
  4. Ungleichbehandlung gleich armer Menschen. Je nachdem, ob die hohen Voraussetzungen für die Zuschuss-Rente erfüllt sind oder nicht werden Personen mit gleich niedrigen Alterseinkommen ungleich behandelt. Die einen müssen zum Sozialamt, die anderen nicht – und sie erhalten dann Leistungen nach unterschiedlichen Regeln und in unterschiedlicher Höhe. Besonders problematisch ist die Aufteilung in gute Arbeitslose im Arbeitslosengeld I-Bezug und schlechte Arbeitslose mit Arbeitslosengeld II. Auch für Arbeitslose im Arbeitslosengeld II müssen wieder Beiträge gezahlt werden.
  5. Eigene Vorsorge lohnt sich nicht. Durch die volle Anrechnung eigener Rentenansprüche ist nicht gewährleistet, dass diejenigen, die mehr in die Rentenversicherung eingezahlt haben, auch einen höheren Gesamtrentenanspruch erwerben. Das wäre aber sowohl aus Gerechtigkeitsgründen als auch aus ökonomischen Gründen wichtig, weil dadurch die Akzeptanz für die Beitragszahlungen sinkt. Bei den Vorschlägen der Regierung soll es aber keinen Unterschied geben, ob jemand 200, 500 oder 700 Euro eigene Ansprüche hat. Völlig absurd ist, dass zwar 35 Jahre eigene Vorsorge verlangt werden, diese aber bei der Aufstockung wieder zu 100 Prozent abgenommen werden.

Positive Aspekte des Vorschlags. Die Grundidee der Zuschuss-Rente ist aber nicht falsch und ähnelt der Grünen Garantierente:

  • Es wird wie bei der Grünen Garantierente bei Eintritt in den Ruhestand untersucht, ob ein ausreichendes Alterseinkommen vorliegt oder nicht. Dadurch ist der Vorschlag wesentlich zielgenauer als die „Rente nach Mindesteinkommen“.
  • Die Prüfung erfolgt durch die Rentenversicherung und die Auszahlung erfolgt ohne Antragstellung. Eine Bedürftigkeitsprüfung wird vermieden. Dadurch wird eine Stigmatisierung und verdeckte Armut vermieden. Das unterscheidet den Vorschlag von der „Mindestrente“ der Partei die Linke, die eine Einkommensprüfung vorsieht und damit nichts anderes ist als eine etwas verbesserte Grundsicherung. Das gleiche gilt für den Vorschlag eines zusätzlichen Freibetrags in der Grundsicherung, wie er von der FDP gefordert wird.

2. Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente

Die Bundesregierung plant parallel zur Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters die Zurechnungszeiten bei Erwerbsminderungsrenten anzuheben. Ab 2012 würden sich somit die Zurechnungszeiten um einen Monat erhöhen, 2013 käme der zweite Monat hinzu und so weiter, bis sie dann im Jahr 2029 um zwei Jahre länger wären.

Beurteilung: Gut gedacht, schlecht gemacht!

Die Verlängerung der Zurechnungszeiten sind ein geeignetes Instrument, um die Erwerbsminderungsrente zu verbessern. Zwei Jahre mehr Zurechnungszeiten bringen durchschnittlich ca. 50 Euro mehr Rente. Die Streckung der Verlängerung der Zurechnungszeiten nimmt dem Vorschlag aber seine Wirkung. Schon jetzt sind viele erwerbsgeminderte Menschen arm – und würden trotzdem so gut wie keine Verbesserung erfahren. Ein Monat Zurechnungszeit verbessert die Erwerbsminderungsrente im Durchschnitt ca. um 3 bis 4 Euro. Dies ist nichts anderes als zynisch. Die Anhebung muss schneller erfolgen. Außerdem sollte das Alter, ab dem eine abschlagfreie Erwerbsminderungsrente bezogen werden kann, nicht mit der Anhebung der Regelaltersgrenze ansteigen, da Erwerbsminderung nicht freiwillig ist.

Was ist zu tun?

1. Grüne Garantierente gegen Altersarmut

Bündnis 90/Die Grünen fordern die Einführung einer Garantierente, die sicherstellt, dass Menschen ab 30 Versicherungsjahren eine eigenständige Rente über der Grundsicherung erhalten.
Wichtig ist, dass eigene Rentenansprüche und Eigenvorsorge nicht voll auf die Garantierente anrechnen werden. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der ökonomischen Vernunft.

2. Weitere Maßnahmen notwendig

Die Vorschläge der Bundesregierung werden dem Umfang des Problems der Altersarmut nicht gerecht. Folgende Maßnahmen sind zusätzlich notwendig:

  1. Selbständige sind zunehmend von Altersarmut bedroht. Wir wollen die Rentenversicherung schrittweise zu einer BürgerInnenversicherung weiterentwickeln. Als erster Schritt sollen bisher nicht abgesicherte Selbständige in die Rentenversicherung einbezogen werden.
  2. Maßnahmen zum Abbau von prekärer Beschäftigung und eine Einbeziehung von Mini-Jobs in die Rentenversicherung.
  3. Die Wiedereinführung und Verbesserung der Mindestrentenbeiträge für Arbeitslose im ALG II-Bezug (die als Teil des Sparpaketes von der Bundesregierung gestrichen wurden) und die Ausdehnung auf weitere Gruppen für die diese Beiträge gezahlt werden (SozialhilfeempfängerInnen und ALG I-EmpfängerInnen, wenn für letztere geringere Beiträge gezahlt werden). Ziel ist diesen Gruppen für die Zeiten des Leistungsbezugs einen Rentenanspruch, der den Rentenanwartschaften aus einem Einkommen von 400 Euro entspricht, zu gewähren. (BT-Drucksache 17/2436)
  4. Die Anhebung des Regelsatzes für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit wie beim Arbeitslosengeld II auf ein Niveau, das Teilhabe ermöglicht. Wir orientieren uns hier an den Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
  5. Geld alleine reicht nicht aus, sondern wir brauchen weitere Maßnahmen, um Menschen soziale Teilhabe zu ermöglichen: Gesundheitsvorsorge, Pflege, Mobilität und vieles mehr.
  6. eine auf mehr und bessere Beschäftigung ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik

2 Kommentare zu "Bewertung der Vorschläge des BMAS zur Bekämpfung von Altersarmut"

  1. Horst Schiermeyer sagte,

    am 12. September 2011 um 16:59

    Ich teile WSK’s Bewertung des v.d.L.-Modells. Ein Zwangs-Rieser-Sparen scheint mir auch nicht sinnvoll.

    In der am Modell der schwedischen Garantierente orientierten „Grünen Garantierente“ sehe ich ebenfalls den sinnvolleren Ansatz. Dabei werden spannende Fragen sein, ob es einen Grundsockel gibt, bei welcher Einkommenshöhe der Garantiesockel aufgebraucht ist und ob nur die Rente(n) angerechnet werden wie in Schweden oder alle Alterseinkommen (was mir logischer erscheint).

  2. am 13. September 2011 um 14:20

    Sehr gute Kritik von Wolfgang an von der Leyens Vorschlägen, die – wie immer bei ihr – eine gewisse Betulichkeit und Paternalismus aufweisen. Vielleicht wäre es hilfreich, nicht nur auf das von den Schweden der fast noch neoliberalen Ära abgeschaute Konzept der „Garantierente“ zu blicken, sondern stets deutlich zu machen, dass ohne eine systematische Bürgerversicherung – Modell AHV/Schweiz, mit Abstrichen auch Niederlande und USA – das Rentenproblem immer nur in der Sozialhilfelogik gelöst wird: d.h., es gibt eine Lösung für die Armen, der Übergang Armut/Nicht-Armut wird unterschätzt und damit privatisiert.

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