Ist das Grundeinkommen eine Alternative zur Rente mit 67?
In der letzten Zeit höre ich immer wieder die These „Das Grundeinkommen ist die Alternative zur Rente mit 67“. Ich teile diese These nicht – im Gegenteil: zusammen wird ein Schuh draus.
Es gibt manche, die mit einem Grundeinkommen auch die Rente abschaffen wollen. Ich halte das für völlig falsch, denn wir brauchen im Alter nicht nur eine soziale Mindestsicherung, sondern auch eine soziale Lebensstandardsicherung – und die darf nicht ausschließlich über die Kapitalmärkte erfolgen, sondern muss im Wesentlichen umlagefinanziert sein, also durch eine Rentenversicherung, bei der die laufenden Einnahmen die laufenden Rentenausgaben finanzieren. Alles andere würde die Krisen wie die laufende Finanzmarktkrise weiter verschärfen.
Die Einführung einer Grundrente (ohne zusätzliche Rentenversicherung) oder einer Sockelrente (mit zusätzlicher Rentenversicherung) würde Jahrzehnte dauern, weil die jetzigen Rentenansprüche Schritt für Schritt ersetzt werden müssten. Deshalb bin ich für eine Garantierente, bei der wie bei der Garantierente in Schweden geringe Rentenansprüche auf ein Minimum aufgestockt werden. Gäbe es eine Garantierente für Alle, wäre der Effekt ähnlich wie bei einer Sockelrente.
Wenn die Rente nicht abgeschafft werden soll, stellt sich die Frage, wie die Rente auch in Zukunft nachhaltig finanziert werden kann. Meine erste Antwort darauf ist die Bürgerversicherung: alle müssen auf alle Einkommen einzahlen. Darüber hinaus halte ich aber eine Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 für sinnvoll, weil dadurch über den Effekt der Bürgerversicherung hinaus die Rentenversicherung zusätzlich entlastet wird – mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Beiträge geringer, sondern auch die Renten höher sind als ohne Anhebung der Regelaltersgrenze.
Wichtig ist dabei, dass „Rente mit 67“ nicht bedeutet, dass alle exakt bis 67 arbeiten müssen. Jede soll frei und selbstbestimmt entscheiden dürfen, wann sie in Rente geht. Die Rentenhöhe sollte dabei davon abhängig sein, wie viel eingezahlt wurde und wie lang die erwartete Dauer der Rentenzahlung ist. Darüber hinaus sollte es die Möglichkeit geben, eine Teilrente zu beziehen. Die Menschen sollten nicht nur selbstbestimmt entscheiden, wann sie in Rente gehen, sondern auch in welchem Umfang. Auch hier ist für mich Schweden ein Vorbild, die genau so eine Regelung haben. Der Effekt war übrigens, dass die Menschen später in den Ruhestand gegangen sind. Das deutet darauf hin, dass Viele gerne länger arbeiten würden, wenn sie denn könnten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass das Arbeitsleben insgesamt verändert wird, insbesondere der Arbeitsdruck, der viele Menschen krank macht, abgebaut wird.
Hier treffen sich dann die Grundeinkommensdebatte und die Debatte über die Rente mit 67. Das Grundeinkommen ermöglicht es in der Erwerbsphase, weniger erwerbstätig zu sein oder auch mal gar nicht. Ziel eines Grundeinkommens ist die Ermöglichung von selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe. Für die meisten Menschen gehört zur Teilhabe an der Gesellschaft eine sinnvolle Arbeit, die nicht unbedingt eine Erwerbsarbeit sein muss. Das Grundeinkommen schafft aber auch bessere Möglichkeiten erwerbstätig zu sein, weil eigenes Einkommen immer zusätzlich ist und weil selbständige Tätigkeit besser ermöglicht wird. Auch im Alter sollte eine gesellschaftliche Teilhabe, auch über Erwerbsarbeit, möglich sein. Deswegen passen die Anhebung der Regelaltersgrenze, verbunden mit einem flexiblen, selbstbestimmtem Übergang in den Ruhestand, und Grundeinkommen gut zusammen.
am 5. Januar 2012 um 16:10
Vielen Dank für Deine Gedanken zum Zusammenhang der Diskurse über das bedingungslose Grundeinkommen und die Rente ab 67.
Ich glaube nicht, dass beides – unter den damit verknüpften Bedeutungen! – zusammengehört, und dafür gibt es mehrere Gründe.
Auf die Bedeutung möchte ich zuerst eingehen, da Du ja inhaltlich zum Teil durchaus Recht hast. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hat man in der Tat die Möglichkeit, über die Altersruhestandsgrenze von 65 Jahren hinaus (quasi bis Ultimo) flexibel (!) am Erwerbsleben teilzuhaben, weil es dann nicht mehr nur um Existenzsicherung (ggf. plus Lebensstandard), sondern nur noch um die Lebensstandardabsicherung und natürlich um die Selbstverwirklichung, die Teilhabe in diesem engeren Sinne geht. Das hat mit der „Rente ab 67“ aber überhaupt nichts zu tun, denn die Rente ab 67 ist in ihrer heutigen Bedeutung nichts als ein absurdes Rentenkürzungsprogramm, weil der Faktor Massenarbeitslosigkeit viel stärker auf das Rentenniveau drückt als steigende Lebenserwartung und sinkende Nachkommenzahl kombiniert!
Damit zu den Gründen, warum ich nicht glaube, dass man die beiden Diskussionen in den diesen Begriffen zugeordneten Bedeutungen nicht nur nicht zusammenbringen kann, sondern sie nicht einmal zusammenbringen darf:
1. Die Machtfrage
Zwar ändert des BGE auch einiges am Machtgefüge, aber nicht so prinzipiell, dass man die Machtfaktoren, die zur Einführung der Rente ab 67 geführt haben, unterschätzen dürfte. Auch nach der (leider ohnehin ziemlich hypothetischen) Einführung eines BGE würden diese Faktoren nicht einfach verschwinden. Es läge nach wie vor im Interesse der kapitalistischen Unternehmen, irgendein Rentenniveau niedrig zu halten und die Lebensarbeitszeit über JEDE existierende Altersruhestandsgrenze hinaus auszudehnen.
2. Der Gegensatz Lebenserwartung und Lebensalter, Gesundheitskondition
Ich wundere mich immer, wie viele Leute auf dieses neoliberale Dogma hereinfallen, dass mit einer steigender Lebenserwartung eine Qualitätssteigerung jedes konkreten Lebensalters bei jedem Menschen einherginge!! Wer irgendwann einmal in einem Knochenjob mit 65 am Ende war, der wird doch auch bei prinzipiell gestiegener Lebenserwartung und natürlich auch trotz BGE mit 65 am Ende sein! An diesem Fakt ändert sich meiner Meinung nach überhaupt nichts bzw. zumindest nichts Wesentliches!! Die Regelaltersgrenze sollte also auf jeden Fall bei 65 Jahren bestehen bleiben, solange sich an der gesundheitlichen Kondition der Menschen im Alter nichts Wesentliches ändert.
3. Der Mythos der Lebensstandardabsicherung im Alter
Meines Erachtens ist die Lebensstandardabsicherung im Alter im Wesentlichen ein Mythos der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge. Da wird eine Sicherungslücke prognostiziert, die mit den realen Lebensumständen des Altersruhestands, der für die meisten Menschen eben ein bewusstes Kürzertreten bedeutet, gar nichts zu tun hat.
Klar wollen viel Rentner ihren Altersruhestand so gut es geht ausnutzen, aber muss man wirklich mit einer mallorcinischen Finka UND einer Hurtigruten-Tour zum Nordkap UND einer Oldtimer-Sammlung im Privatmuseum UND massiven Enkelbeschenkungen kalkulieren?? Teilweise ist nicht einmal das verkehrt, aber dann fällt trotzdem der Aufwand für das zuvor geführte Karrieristenleben weg! Die meisten Rentner wären mit dem, was ein BGE bietet, meines Erachtens vollauf zufrieden, zumal das BGE ja auch für Kinder und Enkel komplett (vor)sorgt, sodass da kein zusätzlicher Aufwand entsteht (wie heute, wo mir meine Eltern dankenswerterweise die neue Brille praktisch gespendet haben)!
4. Die Untergrabung der Freiheit zur Nicht-Erwerbstätigkeit
Meines Erachtens bringst Du diesen Grund selbst: „Ziel eines Grundeinkommens ist die Ermöglichung von selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe. Für die meisten Menschen gehört zur Teilhabe an der Gesellschaft eine sinnvolle Arbeit, die nicht unbedingt eine Erwerbsarbeit sein muss.“ Würde eine Umlagerente auf Erwerbsarbeit (und, Du erwähntest es, anderen Einkommen) beruhen, würde auf das Individuum ein Druck zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit (oder zum Erzielen anderer zusätzlicher Enkommen) wirken. Das halte ich im Lichte des BGE-Diskurses für falsch.
Eine andere Frage wäre (und die gilt auch heute schon, z.B für die Arbeitszeit, die ich seit 2003 in Diskussionen wie diese und brotlose Wahlkampfaktivitäten investiere), wie aus anerkannter ehrenamtlicher, gesellschaftlicher Arbeit ein Druck auf die Gesellschaft erzeugt werden kann, durch den diese Tätigkeit ggf. in Erwerbsarbeit verwandelt werden kann. Allerdings bin ich auch diesbezüglich eher skeptisch, weil dann auch so etwas wie ein Erziehungsgehalt (etwa nach Christa Müller) ins Blickfeld rückt, was ich als Medizin gegen die heutige gängige Exklusion von gesellschaftlich offenbar nicht wertgeschätzter Arbeit durchaus reizvoll, prinzipiell aber für falsch halte, weil es kapitalistischem Leistungsdenken Zutritt zu Familien und anderen (vor dem Kapitalismus schützenswerten) Umgebungen ermöglicht. Wie wir beim Studientag von attac Mainz et al. gelernt haben, kann die Verwandlung von freiwilligem Engagement in einen bezahlten Job aber auch ein Element der Fremdbestimmung (durch den Träger) hineinbringen, das die Tätigkeit entfremdet und verfälscht und damit letztlich entwertet. Diese Erfahrung habe ich (nicht ganz so heftig) durchaus auch schon gemacht, weswegen mich Gedanken über das BGE hinaus stets unvermeidlich zum Sozialismus führen 😉
am 6. Januar 2012 um 11:54
Das Grundeinkommen ist keine Alternative zur Rente mit 67 sondern zum System „Rente“ an sich.
Wer von Geburt bis Tod ein Teilhabe sicherndes Grundeinkommen erhält braucht weder eine Rente noch die meisten anderen sozialen Notfall- Systeme.
Es ist nicht das Einkommen einzelner, welches möglichst viele andere mitversorgen muss sondern es ist die gesamt- gesellschaftliche Leistung, die alle ihr Mitglieder versorgen muss.
am 6. Januar 2012 um 12:27
Ich kann mich mit beidem anfreunden, Wolfgang, mit einem bGE ohne derzeitige Rente oder die Rente, die du beschreibst.
Man kann mit einem bGE durchaus noch zusätzlich eine Rentenanwartschaften aufbauen, sie müßte jedoch nicht so hoch sein und würde nicht so viel Beiträge erfordern.
Würde man dabei das derzeitige Rentensystem beibehalten, hätte dies entsprechende Folgen für die Belastung von Arbeit. (Jedoch bin ich auf jeden Fall für eine Bürgerversicherung, diese hätte den gleichen Effekt!!!)
Interessant wären mit einem bGE Wohneigentum (mit staatl. Förderung), Betriebsrenten, private Zusatzabsicherungen durch Ersparnisse und/oder Versicherungen.
Wer nichts davon macht, (nur theoretisch nie erwerbstätig ist) erhält eine Garantierente oder ein bGE.
So einen großen Unterschied sehe ich also nicht.
Gruss
Guenter
am 6. Januar 2012 um 19:22
Aus meiner Sicht werden hier Äpfel mit Birnen verpackt.
Grundsätzlich hat jeder Mensch das Anrecht auf das Menschenrecht.
Da er mit diesem Recht alleine nicht leben kann, braucht er ein Recht auf ein Einkommen.
Es ist kein Geheimnis, dass in der heutigen Zeit nicht alle welche Arbeiten wollen eine Arbeit mit menschenwürdigem Entgelt bekommen.
Also braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen welches jedem erlaubt auch ohne Arbeit ein menschenwürdiges Leben zu führen inklusive Teilhabe an kulturellen Ereignissen, Bildung und Selbstverwirklichung.
Was Ihr vorschlägt ist im Grunde nur ein Mindesteinkommen auf der bisherigen Basis einer Versicherung.
Dabei muss das Einkommen grundsächlich vom Erwerb getrennt werden und die Verbesserungen auf dieser Basis gesucht werden.
Niemand braucht eine Rente sondern ein Einkommen.
Gruss
Edwin
am 2. Januar 2013 um 15:51
Das Grundeinkommen ist keinen alternative sondern ersetzt die Rente bis zur Höhe des Grundeinkommens. Die bestehenden Rentenansprüche darüber hinaus bleiben erhalten. So würde mein Ansatz lauten, der ja auch von anderen Grundeinkommensvertretern ausgesprochen wird.
Wie eine Neuorientierung der Rente aussehen kann ist zu klären und muß schon heute mit einem Grundeinkommen zusammen gedacht werden. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten, die mir ganz spannend erscheinen.
Ein weiterer Aspekt ist der nach der Finanzierung der Rente:
Unser sogenanntes Umlageverfahren hat ja den sehr großen Nachteil: es führt dazu, dass es den Preisbildungsprozess belastet und die menschliche Arbeit gegenüber anderen möglichen Herstellungswegen diskriminiert und leistungslose finanzielle Mitnahmeeffekte durch Produktionsverlagerungen ermöglicht.
Somit stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der derzeitige Finanzierungsansatz überdacht und durch eine allgemeine Steuerabgabe ersetzt werden sollte. Dies kann dann nicht die Einkommensteuer sein, da sie die gleichen negativen Mitnahme-Effekte wie das Umlageverfahren hat.
Wenn beides mitgedacht wird, würde die Rentenfrage aus dem Existenziellen herausgehoben. Auch für den Ansatz der Kapitaldeckung wird sich eine andere Grundlagen als im heutigen System ergeben.
Natürlich sind die Fragen, Wege zum Grundeinkommen wichtig und sind ja auch ein zentrales anliegen in Deinen Suchbewegungen. Die Offenheit, in die von mir angesprochenen Richtungen mit zu denken, vermisse ich leider in Deinen mir bekannten Ausführungen.
Was macht es so schwer, in diese andere Richtung mit zu Denken?
Bist du offen für einen solchen Diskurs?
Eine Antwort würde mich freuen.
Güsse
Wolfgang