Interview mit Rentenfernsehen: Strengmann-Kuhn: “Zuschuss-Rente ist verkappte Sozialhilfe!”

Gepostet am Freitag, den 17. August 2012 um 09:27 in Altersarmut,Alterssicherung,Rentenversicherungspflicht für Selbständige,Riesterrente

Im Interview vom 16. August 2012 nimmt der Rentenpolitsche Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Stellung zum sogeannten Rentenpaket von Dr. Ursula von der Leyen (CDU). Im Rentenpaket werden u. a. die Zuschussrente von bis zu 850 EUR, eine verbesserte Erwerbsminderungsrente, die sogenannte Kombirente, eine obligatorische Altersvorsorge für Selbständige, Verbesserungen bei der Riester-Rente und die Beitragssenkung auf 19% vorgeschlagen.

Strengmann-Kuhn stellt fest, dass die geplante Zuschuss-Rente ledig eine “verkappte Sozialhilfe” sei. Die Deutsche Rentenversicherung würde zum “zweiten Sozialamt” (bei der Zuschuss-Rente wird das Einkommen des Partners mitangerechnet – auch bei einer “Wilden Ehe”). Die Zuschuss-Rente ist insgesamt weder transparent, noch unbürokratisch. Strengmann-Kuhn wirbt für den Vorschlag der Grünen der “Garantierente”.

Hier geht es zum Video des Interviews auf rentenfernsehen.de

zp8497586rq

2 Kommentare zu "Interview mit Rentenfernsehen: Strengmann-Kuhn: “Zuschuss-Rente ist verkappte Sozialhilfe!”"

  1. G sagte,

    am 19. August 2012 um 19:44

    Sehr geehrter Herr Strengmann-Kuhn,

    es ist erfreulich, dass Sie sich öffentlich zugänglich so ausführlich zum geplanten Rentenpaket geäußert haben!

    Ihre Idee, den Bezug der Grundrente humaner zu gestalten, ist m.E. sehr unterstützenswert!

    Die geplante Beitragssenkung auf 19% halte ich – im Gegensatz zu Ihnen – für einen richtigen Schritt, da er zu einer Senkung der Kosten für Arbeit führt. Letztlich sichert die Arbeitsleistung den Lebensstandard Aller und darf daher nicht über die Maßen bestraft werden. Falsch wäre es m.E., den Beitragssatz anschließend wieder anzuheben. Die später entstehende Lücke sollte m.E. besser über Steuermittel geschlossen werden, die nicht allein auf Erwerbstätigkeit basieren. Wegen der demographischen Entwicklung darf der „Generationenvertrag“ nicht mehr zu 100% in der heutigen Form fortgesetzt werden, sondern es führt kein Weg daran vorbei, auch innerhalb derselben Generation umzuverteilen.

    Im Weiteren beziehe ich mich – wie soll’s anders sein – auf den Part des Interviews, der sich mit der RV-Pflicht für Selbständige beschäftigt.
    Sehr lobenswert ist aus meiner Sicht, dass Sie sich mit Betroffenen der zu befürchtenden Reform direkt unterhalten, insbesondere mit dem Petenten.

    Ihre Unterstützung einer einkommensabhängigen Regelung im unteren Einkommensbereich – sollte denn überhaupt eine Regelung kommen – ist sehr begrüßenswert!

    Es gibt aber auch erhebliche Diskrepanzen zu meiner Sichtweise.
    Nach meiner Milchmädchenrechnung würde eine Einbeziehung der Selbständigen in die gesetzliche Rente nicht erst in 70 Jahren zu einer Zusatzbelastung der Rentenkassen führen, sondern bereits in ca. 20 Jahren, da die geburtenstarken Jahrgänge dann doppelt zuschlagen: sie fallen als Beitragszahler weg und kommen als Rentenempfänger hinzu, insbesondere dann, wenn Sie eine „Garantierente“ versprechen. Um da fundiert darüber diskutieren zu können, sollten Sie die Annahmen und Berechnungen für jeden nachvollziehbar veröffentlichen.
    Andernfalls beschleicht mich der Verdacht, dass entweder auf dem Kommunikationswege ein Fehler unterlaufen ist oder das gleiche Spiel getrieben werden soll wie z.B. mit der Anrechnung der Studienzeit: Erst kommt man mit leeren Versprechungen, um die Akzeptanz zu erhöhen, und wenn’s ums Auszahlen geht, kommen die Ausreden, weshalb das blöderweise gerade jetzt nicht mehr geht.

    Erfreulicherweise haben Sie erkannt, dass die Welt der Selbständigen eine ziemlich heterogene (vielfältige) Angelegenheit ist. Leider waren Sie (nach Ihren eigenen Aussagen) bisher nur abhängig beschäftigt. Daher ist Ihnen diese Erfahrung am eigenen Leib bisher entgangen. Selbständige haben häufig eine andere Mentalität als abhängig Beschäftigte, entweder von Vorneherein oder sie entwickeln sie im Laufe der Zeit. Der Gesetzgeber behandelt Selbständige im Geschäftsumfeld grundsätzlich anders als Nicht-Selbständige, d.h. anders als Arbeitnehmer oder „Verbraucher“. (Das wissen Sie natürlich; aber ich möchte es nochmals in Erinnerung rufen.) Beispielsweise werden Selbständige meistens als Kaufleute (kraft Rechtsschein oder als GmbH-Geschäftsführer) behandelt. Oft gelten Regelungen aus dem HGB statt dem BGB, oder das GmbH- oder AG-Gesetz wird herangezogen. Selbständige in Arbeitgeber-Funktion haben andere Rechte und Pflichten gegenüber ihren Arbeitnehmern als umgekehrt.
    Jetzt fangen Sie (und viele Ihrer Kollegen aus der Politik) damit an, an einer Ecke „gleiches Recht für Alle“ zu fordern.
    Wenn Sie das zu Ende denken, müssten Sie das HGB abschaffen, ebenso Verbraucher-Rechte, denn was dem einen Recht, ist des anderen Pflicht, Arbeitnehmerrechte, Kündigungsschutz, Garantie und Gewährleistung, lauter Rechte (und damit bewusst herbeigeführte Unterschiede zwischen Sebständigen und der übrigen Welt), die im Namen des schutzlosen Verbrauchers gegenüber Unternehmen mühsam erstritten wurden.

    Aus Sicht eines Selbständigen sieht die Welt völlig anders aus als aus Sicht eines Sozialpolitikers. Während sich der Sozialpolitiker mit der Vielfalt der sozialen Absicherungen beschäftigt, muss sich ein Selbständiger quer Beet mit Zig unterschiedlichen Gesetzen, Verordnungen und Rechtssprechungen, unterschiedlichen Kunden, deren Problemen, oft mit Mitarbeitern und deren Problemen, mit Lieferanten, mit den Wettbewerbern, der Ausformulierung von Verträgen und am Ende sogar noch mit der Arbeit und den Visionen, die er eigentlich realisieren wollte, beschäftigen.
    Auf alle erdenklichen Dinge muss flexibel reagiert werden können. Wenn Sie durch eine starre und noch dazu unrentable „Altersvorsorge“-Regelung liquide Mittel entziehen oder zweckbinden, beeinträchtigen Sie diese Flexibilität und erhöhen das Insolvenz- und Armuts-Risiko.
    Sie mögen argumentieren, dass es ja alle Selbständigen gleichermaßen trifft, insofern also die Chancengleichheit gewahrt bleibt. Innerhalb Deutschlands mag das wohl für die dann noch verbliebenen Selbständigen so sein, aber die Chinesen (und nicht nur die) werden sich darüber amüsieren oder verständnislos den Kopf schütteln und ihre neuen Chancen nutzen.
    Die Selbständigen stellen eine (wenn nicht die) zentrale Stütze unseres Wirtschaftssystems dar. Wenn Sie da unsachgemäß aus einer kleinen Perspektive heraus (wegen knapp 200.000 selbständigen Transferempfängern ab 65 Jahren (Stand 2008), die lockerst innerhalb der gleichen Bevölkerungsgruppe (Selbständige ab 65) mitversorgt werden) eingreifen, lösen sie eine Lawine aus (Abwanderung überwiegend der Know-How-Träger, Innovativen und Leistungsstarken; Kündigungen, Firmenschließungen, weniger Neugründungen sind die Folge), die deutlich schwerer zu beherrschen sein wird als ein paar Selbständige in Altersarmut.

    Und noch ein Fehler, der in der Diskussion um Altersvorsorge laufend wiederholt wird: Altersvorsorge wird mit Rentenversicherung (privat oder gesetzlich) verwechselt. Das ist eine Sichtweise, die von Seiten der Versicherungen und Versicherungsberater stoisch suggeriert wird.
    Altersvorsorge ist aber weitaus vielfältiger und lässt sich nicht in irgendwelche Paragraphen einsperren. Und das ist auch gut so und soll so bleiben!

    Zur praktischen Realisierbarkeit der Umwandlung bisheriger Altersvorsorgekozepte in eine gesetzliche Rentenversicherung: Immerhin ist Ihnen die Problematik bewusst, dass bestehende private Versicherungsverträge in eine gesetzliche Versicherung umgewandelt werden müssten, um keine doppelten Beitragszahlungen zu bewirken. Rein technisch ist das vielleicht möglich. Aber da dürften Sie vermutlich auf erbitterten Widerstand aus der Versicherungswirtschaft stoßen. Ähnliches gälte für die Umwandlung von Banksparplänen. Prinzipiell möglich. Aber wie möchten Sie z.B. mit Immobilien als Altersvorsorge umgehen? Soll die Immobilie enteignet und der Verkehrswert als RV-Beitrag gewertet werden? Der Bank-Kredit wird von der BfA als neuem Schuldner übernommen? Wie schaut’s bei Fonds, Anleihen, Aktien, sonstigen Unternehmensbeteiligungen, incl. des eigenen Unternehmens aus? Soll das alles verstaatlicht oder teilverstaatlicht werden? Wie wird mit ausländischen Investments umgegangen? Oder muss sich der Selbständige verschulden, um seine Rentenbeiträge zu bezahlen, falls er die liquiden Mittel nicht frei hat? Ersetzt die BfA die eigentlich unnötigen Schuldzinsen?

    Also mir scheint das eher ein Beschäftigungsprogramm für Anwälte und Gerichte zu werden, also reichlich unproduktiv, nichts was den Lebensstandard verbessern oder sichern könnte (Juristen ausgenommen).

    Mit freundlichen Grüßen,

    G

    P.S.: Wie wär’s mit einer Regelung, die da sagt: „Wer mehr als 1/4 Mio. EUR an Steuern und Abgaben bezahlt hat, dem darf nicht mehr nachgesagt werden, dass er auf Kosten der Allgemeinheit seine Altersarmut riskiert.“?

  2. G sagte,

    am 20. August 2012 um 14:18

    Nachtrag: Laut Alterssicherungsbericht 2008, Tabelle BC.27, waren 4% der 1.875.000 ab 65-jährigen Selbständigen Transferempfänger, also 0,04 x 1.875.000 = 75.000. „Knapp 200.000“ war also etwas zu großzügig aufgerundet.

    Selbst bei einer Verzehnfachung der Transferempfänger (ausgehend von den 75.000) wären die Kosten innerhalb der Bevölkerungsgruppe der ab 65-jährigen Selbständigen durch deren Steuern und Sozialabgaben von durchschnittlich 334 EUR bereits abgefangen. Ein Rückgriff auf die jüngere Generation wäre selbst dann noch nicht erforderlich.
    Das System der gesetzlichen Rente hingegen wälzt die weitaus überwiegenden Kosten auf die Jüngeren ab.

    Aussagen von der Sorte, die Selbständigen seien „hochmütig“ und überschätzten ihre Fähigkeit, sich abzusichern, ist auf der Basis der Statistiken in dieser allgemeinen Form schlicht falsch. Das erhöhte Risiko, das Selbständige auf sich nehmen, zahlt sich für die Allgemeinheit vielfach aus, selbst dann noch, wenn sich die Zahl der Gescheiterten deutlich erhöhen sollte!

    Wie würden sich die Transferleistungen verändern, wenn eine Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige eingeführt würde? Ignorieren wir die hierdurch verursachten Verwerfungen und vergleichen wir mit der Statistik für Arbeiter und Angestellte (Tabelle BC.25), also einer Bevölkerungsgruppe, die bereits überwiegend pflichtversichert ist: „Anteil der Bezieher/innen in %, Transferleistungen 4“. Im Klartext: Der Anteil der Bezieher an Transferleistungen würde sich kaum nachweisbar verändern. Es bliebe nur die Hoffnung, dass sich die monatlichen Transferleistungen zu diesen unveränderten 4% von 267 EUR auf 175 EUR (Arbeiter und Angestellte) monatlich reduzieren könnte. D.h. eine Reduktion um 92 EUR monatlich für 75.000 Transferempfänger, also etwa 83 Mio. EUR pro Jahr bundesweit.

    Selbst wenn die zusätzlichen Verwaltungskosten für 2 Mio. Selbständige bei exakt Null lägen, würde es genügen, wenn wegen dieser Neuregelung nur ein Promille der Durchschnitts-Selbständigen aufgeben oder auswandern würde, um bereits einen höheren Schaden herbeigeführt zu haben. (Hier unterstelle ich ohne Beleg, dass je durchschnittlichem Selbständigen mindestens 20.000 EUR pro Jahr volkswirtschaftlicher Gewinn entsteht. Falls Sie das besser quantifizieren können, dann bitte ich darum, dies zu tun.)

    Falls Sie mehr als 50 EUR jährliche Verwaltungskosten je Selbständigen unterstellen, ohne sonstige Effekte, wäre auch alleine hierdurch der Schaden bereits höher als der Nutzen.

    Wenn ich von mir selbst ausgehe, ist der Schaden alleine durch die bisherige Diskussion über dieses eigentlich überflüssige Thema schon (mindestens) mehrere hundertfach höher als der zu erhoffende mittlere jährliche Nutzen für die Allgemeinheit.
    Meine Arbeitsleistung wird entlang der Lieferantenkette kaskadiert gehebelt, im Klartext: da hängt ein Sack voller Arbeitsplätze incl. Familieneinkommen, Steuereinnahmen und Sozialabgaben dran. Wenn ich meine Arbeitsleistung reduziere, entgehen „der Allgemeinheit“ also gleich hunderttausende Euro. Wenn ich mich – wie jetzt gerade – mit dem Thema beschäftigen muss, reduziert sich meine Arbeitsleistung, mit den gerade genannten Folgen.
    Sicherlich ist das nicht bei allen Selbständigen so, aber genauso sicherlich bin ich auch kein Einzelfall.

    Deshalb nochmal: Lasst den Quatsch mit der RV-Pflicht für Selbständige!

    Alleine mit einem pfändungssicheren Bank-Konto, idealerweise mit nachgelagerter Besteuerung, wäre der Sache bereits mehr gedient. Richtig super wäre eine Ausdehnung auf andere Anlageformen (Wertpapier-Depots, Immobilien, sonstige Wertgegenstände, Betriebsvermögen). Und noch ein Weihnachtswunsch: Für untere Einkommen sollten die GKV-Beiträge einkommensabhängig sein. Und weshalb sind Zins- und Mieteinkünfte bei Selbständigen KV-pflichtig (im Bereich zwischen Mindest- und Höchstbeitrag), nicht aber bei abhängig Beschäftigten?

    Aber ich fürchte, es geht gar nicht darum, die Altersvorsorge Selbständiger zu verbessern, sondern – im Gegenteil – die Selbständigen unter irgend einem Vorwand auszuplündern, in der Hoffnung, ein leichtes, unorganisiertes Opfer gefunden zu haben.
    Die wirtschaftlichen Folgen sind egal, dafür ist ja ein anderes Ministerium zuständig.