Rede zur ersten Beratung des Bundeshaushaltsplans der Bundesregierung. Einzelplan 11 (Arbeit und Soziales)

Gepostet am Donnerstag, den 13. September 2012 um 16:55 in Altersarmut,Alterssicherung,Armut/ Grundsicherung

Protokoll:

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch ein Jahr Schwarz-Gelb;

(Lachen des Abg. Max Straubinger (CDU/CSU))

drei Jahre haben wir hinter uns. Die sozialpolitische Bilanz der Regierung kann man sich ganz aktuell auf der Seite des Statistischen Bundesamtes im Internet anschauen. Dort ist gerade die Topmeldung zu lesen, dass die Armutsgefährdungsquote zwischen 2010 und 2011 von 14,5 Prozent auf 15,1 Prozent angestiegen ist. Es ist kein sozialpolitischer Erfolg, aus armen Arbeitslosen arme Erwerbstätige zu machen. Das ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Was hat die Ministerin nicht alles versprochen: ein einheitliches Rentensystem in Ost und West, ein Mittagessen für alle Kinder, Geigenunterricht noch dazu,
(Elke Ferner (SPD): Nein, Klavierunterricht! Oder Flöte!)
einen flächendeckenden Mindestlohn. Doch dann lief es immer nach dem gleichen Prinzip wie immer ab: Entweder macht die Ministerin gar nichts, oder wenn sie etwas macht man wünscht sich, sie hätte besser nichts gemacht.

(Heiterkeit der Abg. Elke Ferner (SPD)))

So sollte der Hartz-IV-Regelsatz neu berechnet werden; das war übrigens eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Was kam nach über einem Jahr heraus? Es gab monatlich 5 Euro mehr.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Das ist doch schon mal was! – Karl Schiewerling (CDU/CSU): Eine verfassungsgemäße Regelung!)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte aber nicht nur Auswirkungen auf Hartz IV, sondern auch auf das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Ministerin hat relativ schnell festgestellt: Auch die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sind an dieser Stelle verfassungswidrig. Dann hat es zweieinhalb Jahre gedauert, bis das Bundesverfassungsgericht erneut sagen musste: Hier muss etwas getan werden. Denn was hatte die Bundesministerin unternommen? Nichts, gar nichts.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Nein! Das war, weil die Bundesländer nicht bereit waren, im Gegenzug auch etwas zu machen! – Karl Schiewerling (CDU/CSU): Sagen Sie das mal den Ministerpräsidenten von der SPD!)

Was war mit der Ost-West-Rentenangleichung? Passiert ist nichts. Was war in Sachen Mindestlohn? Passiert ist nichts. Aber, wie gesagt, noch schlimmer ist das, was herauskommt, wenn die Ministerin etwas macht, Beispiel Bildungspaket. Am Ende stand ein bürokratisches Monster, mit der Folge, dass die Betroffenen kaum etwas erhalten.

(Karl Schiewerling (CDU/CSU): Aber die Kinder kriegen mehr!)

Nun droht bei der Rente genau das Gleiche. Richtig ist: Altersarmut ist ein Problem, übrigens schon heute. In der Zukunft wird es allerdings massiv anwachsen, wenn wir nichts dagegen tun. Es geht dabei um mehr als um Altersarmut. Es geht um die Akzeptanz der Rentenversicherung.
Unser Vorschlag dazu besteht seit langem in der grünen Garantierente, mit der die Renten für langjährig Versicherte auf ein Mindestniveau aufgestockt werden. Plötzlich entdeckt auch Frau von der Leyen das Thema Altersarmut und fordert „forderte“ muss man jetzt schon fast sagen, die Renten für langjährig Versicherte auf ein Mindestniveau aufzustocken. Guttenberg lässt grüßen! Aber: Die Kopie war von Anfang an schlechter als unser Original. Es gab zu hohe Hürden, der Vorschlag war insgesamt zu bürokratisch, und er wäre deswegen relativ wirkungslos geblieben. Aber immerhin: Der Grundgedanke, der ganz am Anfang der Zuschussrente stand, war richtig.
Was dann geschah, war typisch von der Leyen: Aus der Aufstockung auf mindestens 850 Euro wurde eine Aufstockung auf maximal 850 Euro.

(Elke Ferner (SPD): Und das brutto!)

Aus der Versicherungsleistung wurde eine bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung bzw. ein Mischmasch, den Herr Kauder zu Recht kritisiert hat, also nichts anderes als eine zweite Sozialhilfe. Mit jeder neuen Modifikation wurden die Regelungen komplizierter und komplizierter. Gleichzeitig stellt sich die Ministerin hier hin und tut immer noch so, als sei sie die Hauptkämpferin gegen die Altersarmut. Wir sagen: Schluss mit der Von-der-Leyen-Show!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir brauchen eine unbürokratische, transparente Garantierente, die die Menschen, ohne einen Antrag stellen zu müssen, automatisch bekommen. Nur so ist zu gewährleisten, dass die verdeckte Armut bekämpft, die Menschen nicht stigmatisiert und die Akzeptanz der Rentenversicherung wiederhergestellt werden. Und: 30 Versicherungsjahre müssen reichen. Es müssen nicht 40 oder 45 Versicherungsjahre sein. Weitere Bedingungen wie „35 Jahre Riestern“ sind unnötig. Wir brauchen eine Garantierente, die wirklich vor Armut schützt, und keinen Placebo.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Apropos Placebo. Auch die SPD hat jetzt ein Modell vorgelegt. Sie nennt ihre Zuschussrente „Solidarrente“. Bedingung: 40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre. Das kommt einem bekannt vor. Die Hürden sind also ähnlich hoch wie beim Vorschlag von Frau von der Leyen. Für Frauen sind sie sogar noch höher. Denn bei den 30 Beitragsjahren werden nur drei Jahre Kindererziehungszeit pro Kind gezählt, und Teilzeit soll weniger zählen als Vollzeit. Gemeinsam ist beiden Konzepten, dass sie eine zweite Sozialhilfe sind, also eine Art Hartz IV de luxe für die Rente. Die SPD redet auch gar nicht groß darum herum und nennt ihre Solidarrente „zweite Stufe der Grundsicherung“. All das klingt nach Großer Koalition.

(Elke Ferner (SPD): Keine Sorge, Herr Kollege! – Andrea Nahles (SPD): Hören Sie uns überhaupt zu?)

Die Probleme werden damit aber nicht gelöst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zum Schluss noch folgenden Punkt ansprechen:
„Aufgrund der demografischen Entwicklung stehen wir in der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahren vor einem deutlichen Ausgabenanstieg. Es wäre absurd, wenn wir jetzt die Rücklagen … fast restlos abbauen, um kurzfristig den Beitragssatz … zu senken.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das hat doch niemand gesagt, Herr Strengmann-Kuhn!)

Dann stünden wir schon mittelfristig wieder vor erheblichen Finanzierungsproblemen. Eine nachhaltige Rentenfinanzierung sieht anders aus.“

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt müsste eigentlich die CDU klatschen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber stattdessen klatschen wir!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Jetzt müssten Sie zum Ende kommen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das war ein Zitat von Andreas Storm, der vor einem Jahr noch Staatssekretär von Frau von der Leyen war und jetzt Sozialminister im Saarland ist. Recht hat er: Wir müssen über die Anpassung des Beitragssatzes neu nachdenken. Da finde ich den Vorschlag von dem Kollegen Schiewerling durchaus vernünftig. Man könnte darüber diskutieren, jetzt die Beitragssatzsenkung auszusetzen und dann über einen neuen Mechanismus nachzudenken.

Wenn Mittel frei werden, dann sollten sie in die Erwerbsminderungsrente gesteckt werden. Auch das ist ein Punkt, zu dem es von der Ministerin immer nur warme Worte gibt, von denen sich die Betroffenen aber nichts kaufen können.

Das alles ist typisch von der Leyen. Noch ein Jahr, dann ist Schluss.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundeshaushaltsplan der Bundesregierung als PDF

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