Rede im Bundestag zu Alterssicherung und Altersarmut von Frauen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Altersarmut in Deutschland ist weiblich. Das war schon das Ergebnis der Großen Anfrage, die wir, die grüne Bundestagsfraktion, letztes Jahr gestellt haben. Ich möchte eine Zahl aus der Antwort der Bundesregierung nennen; es sind keine Zahlen von uns. Herr Kolb, hören Sie vielleicht einmal zu; denn ich bin gerade dabei, etwas zu den eben von Ihnen genannten Zahlen klarzustellen. In der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zu dem Thema „Altersarmut in Deutschland“ wurde deutlich, dass es allein 1 Million alleinstehende Frauen mit einem Einkommen unter der Arisikogrenze gibt. Diese Grenze liegt bei 930 Euro; das ist nicht sehr viel. Hinzu kommen 500 000 Frauen, die in Paarhaushalten leben, wenngleich sie in der Tat meist bessergestellt sind als alleinstehende Frauen. Insgesamt liegt das Einkommen von über 1,5 Millionen Frauen unter der Altersarmutsrisikogrenze: unter 930 Euro, wenn sie alleine leben, unter 700 Euro pro Kopf, wenn sie in einem Paarhaushalt leben. Sie würden wahrscheinlich sagen: Das ist noch nicht Armut. – Aber wir sind uns vielleicht einig: Das ist sehr wenig Geld. Wenn man die Grenze heruntersetzt, ist die Gruppe derjenigen, die tatsächlich von Armut betroffen sind, immer noch groß. Wie gesagt: Es sind hauptsächlich Frauen. Ich bin deswegen der Linken durchaus dankbar, dass sie mit einer weiteren Großen Anfrage an dieser Stelle nachgehakt hat und das Thema der Altersarmut von Frauen angeht.
Der Kollege Peter Weiß tut mir fast schon ein bisschen leid,
(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wieso?)
weil ich weiß, dass Teile der CDU/CSU-Fraktion ‑ mancher Sozialpolitiker, auch er ‑ gerne etwas vorgelegt hätten, um die Altersarmut insgesamt und die Altersarmut von Frauen zu bekämpfen; aber da ist nichts. Ich habe in einer Fernsehdokumentation gesehen, dass die Bundesministerin schon als Kind beim Krippenspiel den Weihnachtsengel gespielt hat. Es ist erstaunlich ‑ vielleicht auch nicht ‑,
(Anton Schaaf (SPD): Sie spielt hier die Fortsetzung!)
dass sie heute nicht hier steht und sagt: Wir retten die armen alten Frauen. ‑ Sie hat das in den letzten Jahren permanent angesprochen, nicht nur zur Weihnachtszeit. Aber mittlerweile ist klar: Der Lack ist ab; da wird in Sachen Bekämpfung von Altersarmut nichts mehr kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Wenn man etwas gegen Altersarmut machen will, dann muss man in erster Linie bei den Ursachen ansetzen. Es gibt drei wichtige Ursachen, warum Frauen in der Altersarmut landen.
Die erste Ursache ist: Frauen verdienen immer noch weniger als Männer.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sie bekommen weniger, verdienen tun sie das Gleiche!)
Sie haben einen geringeren Lohn ‑ es ist schon gesagt worden ‑: 22 bis 23 Prozent weniger Stundenlohn. Das müssen wir unbedingt beenden. Wir finden: Frauen verdienen mehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, der Frauen ein höheres Einkommen beschert, wir brauchen endlich ein Gesetz gegen Entgeltdiskriminierung, wir brauchen Equal Pay im Leiharbeitssektor und vieles mehr, um die Schere zwischen Männern und Frauen bei der Bezahlung zu schließen.
Der zweite Punkt. Frauen verdienen nicht nur pro Stunde weniger, sondern sie arbeiten auch weniger. Halt, falsch! Frauen arbeiten nicht weniger. Wenn man es genau nimmt, arbeiten Frauen mehr, aber der Erwerbstätigkeitsumfang von Frauen, die bezahlte Arbeit von Frauen ist geringer, sowohl in Wochenstunden als auch in Lebensarbeitszeit. Das heißt, sie haben weniger Lohn, weniger Erwerbsarbeitszeit, und das führt am Ende zu einer geringeren Rente. An diesem Punkt muss man unbedingt ansetzen.
Wir brauchen Anreize und müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Frauen mehr arbeiten können, und zwar nicht nur in Minijobs, sondern in bezahlter, sozialversicherungspflichtiger Teilzeit- oder Vollzeitarbeit, damit am Ende ein ordentliches Einkommen und folglich eine ordentliche Rente herauskommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein wichtiger Punkt in Bezug auf diese Rahmenbedingungen ist schon angesprochen worden: In Deutschland wird die Alleinverdienerehe besonders subventioniert. Deswegen ist es überhaupt kein Wunder, dass der Gender Pay Gap, also der Unterschied bei den Löhnen, in Deutschland besonders groß ist. Am stärksten wird die Alleinverdienerehe durch das Ehegattensplitting subventioniert. Wir wollen das Ehegattensplitting abschaffen und durch eine Individualbesteuerung ersetzen, damit endlich Gleichheit herrscht und für Frauen ein Anreiz besteht, mehr erwerbstätig zu sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gleichzeitig muss man eines deutlich machen: Wir brauchen zwar Anreize für Frauen, mehr zu verdienen, wir müssen aber umgekehrt auch dafür sorgen, dass Männer weniger arbeiten und sich mehr um die Kindererziehung kümmern. Nur so werden wir tatsächlich eine Gleichstellung zwischen Männern und Frauen im Erwerbsleben und auch in der Rente bekommen. Das Ehegattensplitting ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen die Rahmenbedingungen stärken. Die zwei Vätermonate in der Elternzeit reichen nicht aus, sie müssen ausgeweitet werden und vieles mehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben genügend Konzepte vorgelegt, die Gleichheit zwischen Männern und Frauen im Erwerbsleben herstellen.
Frau Ferner, es reicht nicht, Erwerbsarmut zu bekämpfen und die Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt herzustellen, wir müssen auch die soziale Absicherung insbesondere von Frauen stärken.
(Elke Ferner (SPD): Ich habe gar nicht gesagt, dass das ausreicht!)
Allein die Erwerbsarmut zu bekämpfen, reicht nicht aus, um Altersarmut zu vermeiden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN ‑ Elke Ferner (SPD): Ich habe nichts anderes gesagt!)
Derzeit ist es so: Bei einem Verdienst von 2 000 Euro braucht man 40 Jahre, um auf 30 Entgeltpunkte zu kommen, was ein bisschen über dem Grundsicherungsniveau liegt. Wenn man weniger verdient, weil man Teilzeit arbeitet oder einen Job mit Mindestlohn hat, dann liegt die Rente auch nach 40 Jahren nicht über dem Grundsicherungsniveau. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen das Rentenrecht so verändern, dass am Ende eine Rente herauskommt, die tatsächlich vor Armut schützt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da setzt man auch wieder im Lebensverlauf an. Unsere Perspektive ist langfristig die Bürgerversicherung. Da müssen wir schrittweise hinkommen. Ein wichtiger erster Schritt ist, die Minijobs wieder rentenversicherungspflichtig zu machen. Der Wechsel von Opt-in zu Opt-out reicht nicht aus. Vielmehr brauchen wir wieder eine Rentenversicherungspflicht für alle Menschen, die erwerbstätig sind.
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Nichterwerbstätigkeitsphasen besser abgesichert sind. In Paarhaushalten sollten die Rentenanwartschaften im Erwerbsverlauf geteilt werden. Es ist nicht einzusehen, dass eine Alleinverdienerehe vom Staat subventioniert wird; vielmehr sollten in einer Ehe die Anwartschaften geteilt werden. Das wäre solidarisch. Das würde eigentlich sogar zu einem konservativen Weltbild passen.
(Elke Ferner (SPD): Solidarisch und konservatives Weltbild gehen nicht zusammen!)
Das würde dazu führen, dass Frauen in längerfristiger Perspektive einen höheren eigenständigen Rentenanspruch erwerben und damit besser vor Altersarmut geschützt wären.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Dann sind die Grünen ja konservativer als wir! Glückwunsch!)
So viel zu den präventiven Maßnahmen, die alle notwendig sind.
Wir sagen aber auch: Viele Erwerbsbiografien sind jetzt schon geschrieben. Wir müssen auch sicherstellen, dass bei allen Unwägbarkeiten, die im Lebensverlauf passieren können, am Ende für diejenigen, die lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben, ein Mindestniveau gewährleistet ist, und zwar nicht in Form einer Lebensleistungsrente ‑ eigentlich muss man ja „Rentchen“ sagen ‑, sondern in Form einer echten Garantierente, die auch diejenigen schützt, die tatsächlich von Altersarmut bedroht sind, insbesondere die Frauen.
Wir haben ein Konzept für eine Garantierente vorgelegt. Wir sagen: Wer 30 Versicherungsjahre hat ‑ alle rentenrechtlichen Versicherungszeiten zählen dazu ‑, soll eine Garantierente von 30 Entgeltpunkten erreichen. Das entspricht ungefähr 850 Euro. Damit muss man nicht mehr zum Grundsicherungsamt, wenn man lange in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Dieses Konzept einer Garantierente haben wir durchrechnen lassen. Dabei haben wir festgestellt, dass 85 Prozent derjenigen, die diese Garantierente beziehen würden, Frauen sind. Das heißt, die Garantierente ist eine echte Frauenmindestrente. Sie schützt die Frauen vor Altersarmut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das unterscheidet unser Konzept stark von dem Konzept der CDU; allerdings kann man dabei ja noch nicht einmal von einem wirklichen Konzept reden. Da gibt es nichts außer dem Begriff „Lebensleistungsrente“ und der Festlegung auf 40 Beitragsjahre.
(Elke Ferner (SPD): 40 Jahre Beitragszahler und keine ausreichende Rente!)
Eindeutig ist: 40 Beitragsjahre sind von den Frauen, die von Altersarmut bedroht sind, überhaupt nicht erreichbar.
Bei der Solidarrente der SPD werden 40 Versicherungsjahre gefordert, von denen 30 Beitragsjahre sein müssen. Auch das ist von den meisten Frauen, die von Altersarmut bedroht sind, nicht zu erreichen. Das heißt, auch die SPD hat keine Antwort auf die drohende Altersarmut von Frauen.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oder die Grünen haben keine Ahnung davon, wie Beitragsjahre berechnet werden!)
Wir haben ein Konzept, mit dem wir die Frauen, die von Altersarmut bedroht sind, tatsächlich vor Altersarmut schützen können, mit dem wir sie davor bewahren können, dass sie nach langer Erwerbstätigkeit, langen Kindererziehungszeiten zum Sozialamt oder zum Grundsicherungsamt müssen. Sie erhalten eine Rente, die vor Armut schützt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da ich sehe, dass meine Redezeit vorbei ist, sage ich einen letzten Satz – ich habe gesagt, dass Frau von der Leyen schon als Kind den Weihnachtsengel gespielt hat -: Nächstes Jahr gibt es eine neue Ministerin oder einen neuen Minister, und dann werden wir uns daranmachen, die Altersarmut von Frauen endlich zu bekämpfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
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