Entschließungsantrag: Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

Gepostet am Donnerstag, den 17. Januar 2013 um 16:55 in Parlamentarische Initiativen,Verschiedenes

Deutscher Bundestag Drucksache 17/12091 vom 16. 01. 2013

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Ingrid Hönlinger, Elisabeth Scharfenberg, Kerstin Andreae, Tom Koenigs, Markus Kurth, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Walter-Rosenheimer, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP – Drucksachen 17/11513, 17/12086 –

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei Entscheidungen vom 20. Juni 2012 (Az XII ZB 99/12 und Az XII ZB 130/12) seine bisherige Rechtsprechung korrigiert und Behandlung gegen den ausdrücklichen Willen der Patienten als erheblichen Grundrechtseingriff bewertet. Er hat dabei die wesentlichen Grundsätze aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (2 BvR 882/09 und 2 BvR 633/11) übernommen.

Zum Schutz der Grundrechte von Menschen mit einer psychischen Erkrankung war der Gesetzgeber aufgefordert worden, die Behandlung gegen den Willen der Patienten auf neue gesetzliche Grundlagen zu stellen und zu begrenzen. Der BGH hat bezugnehmend auf das Bundesverfassungsgericht insbesondere festgehalten, dass Zwangsmaßnahmen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürften, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprächen. Zudem müsse der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig sei, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von unzulässigem Druck unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (BVerfG FamRZ 2011, 1128). Zwangsbehandlung dürfen nicht mit Belastungen verbunden sein die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen (BGH vom 20.06.2012 – XII ZB 130/12, Rn 37). Die Prüfung einer medizinischen Zwangsbehandlung gegen den Willen des Patienten muss unabhängig von der Unterbringungseinrichtung stattfinden (BGH XII ZB 130/12, Rn 39). Der Gesetzentwurf hat nicht alle grundlegenden Einwendungen des BGH aufgegriffen, so dass die begründete Gefahr von weiteren erfolgreichen Klagen besteht.

Die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die in Deutschland am 26. März 2009 in Kraft getreten ist, betont ausdrücklich das Recht behinderter Menschen, selbst über sich und ihr Leben zu bestimmen. Als Vertragsstaat hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, dieses Recht zu schützen und zu stärken. Mit der Konvention haben die Vertragsstaaten „in der Erkenntnis, wie wichtig die individuelle Autonomie […] für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen“ (Präambel) für den Gesundheitsbereich vereinbart, Angehörige der Gesundheitsberufe zu verpflichten, Menschen mit Behinderungen „auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung“ (Artikel 25) zu versorgen. Gemäß Artikel 17 der Konvention hat jeder Mensch mit Behinderung „gleichberechtigt mit anderen das Recht  auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit“. Vor diesem Hintergrund muss intensiv geprüft werden, inwiefern sich über das vorliegende Gesetz hinaus neue Anforderungen an rechtlichen Regelungen zur Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ergeben. Aus Sicht der Antrag stellenden Fraktion ist es Aufgabe von Wissenschaft und Politik, auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention Modelle rechtlicher Assistenz zu entwickeln. Zudem sind Maßnahmen und Strategien erforderlich, die den Dialog zwischen Betroffenen und den Professionellen unterstützen und zu mehr Transparenz beitragen.

Menschen in psychiatrischen und psychosozialen Krisen müssen in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung gefördert werden. Behandlungen gegen deren Willen werden von vielen Patienten als traumatisierend und entwürdigend erlebt. Zudem können insbesondere bei der langfristigen und zu hoch dosierten Behandlung mit Psychopharmaka – vor allem der Neuroleptika – erhebliche, teils lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftreten. Deshalb müssen Behandlungsformen und Behandlungskulturen geschaffen werden, die auch auf eine Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Betroffenen und dem behandelnden Personal setzen. Es ist außerdem anzunehmen, dass die Konsequenzen der neuen gesetzlichen Regelung zur medizinischen Zwangsbehandlung gegen den Willen der Patienten zu höheren Kosten bei der stationären Behandlung führen könnten, weil eine dem Patienten zugestandene Karenzzeit, bis er freiwillig zur Behandlung bereit ist, in einigen Fällen die Verweildauer der stationären Unterbringung verlängert. Der Soteria-Ansatz, mit dem das Konzept der therapeutischen Gemeinschaft auf Zeit verfolgt wird und der das Ziel des alltagsorientierten Lebens und Lernens in der Gemeinschaft ins Zentrum stellt, wird nur in wenigen Kliniken Deutschlands konsequent eingesetzt.

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme [PDF]

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