Antrag: Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken

Gepostet am Mittwoch, den 20. Februar 2013 um 16:54 in Armut/ Grundsicherung,Parlamentarische Initiativen

Deutscher Bundestag Drucksache 17/12389 vom 20.02.2013

Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Katja Dörner, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Monika Lazar, Josef Philip Winkler, Birgitt Bender, Ekin Deligöz, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner, Lisa Paus, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, Daniela Wagner, Beate Walter- Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken

Jeder in Deutschland lebende Mensch hat einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Recht auf Sicherung der physischen Existenz sowie auf ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ergibt sich aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz. Das Grundrecht auf Achtung der Würde jedes Einzelnen wird vom Gesetzgeber in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), der Sozialhilfe (SGB XII) sowie durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) konkretisiert. Die Mindestsicherung als unterstes soziales Netz wird durch die Solidargemeinschaft geleistet.

Allen Menschen muss gleichermaßen die Möglichkeit eröffnet werden, ihren Lebensunterhalt eigenverantwortlich zu erwirtschaften, um nicht auf existenzsichernde Leistungen angewiesen zu sein. Neben einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen gilt es hierfür die entsprechenden Anreize und Voraussetzungen zu schaffen. So müssen etwa Lohnhöhe, steuerliche und sozialversicherungspflichtige Belastung von Einkommen, finanzielle Leistungen für Kinder und Familien sowie Wohngeld derart zueinander wirken, dass sich Erwerbsarbeit auch finanziell lohnt. Etwaige Forderungen, wonach Leistungen der Mindestsicherung deutlich unterhalb der Einkommen in den unteren Lohngruppen liegen müssen (so genanntes Lohnabstandsgebot), sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums „dem Grunde nach unverfügbar“ ist und eingelöst werden muss (1 BvL 1/09).

Die Mindestsicherung in Deutschland weist heute allerdings einige Lücken auf. So wurden etwa die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie der Hilfe zum Lebensunterhalt von der schwarz-gelben Bundesregierung so weit herunter gerechnet, dass sie für eine echte sozio-kulturelle Teilhabe nicht ausreichen. Zudem können auf Grund der Einkommens- und Vermögensanrechnung im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft rund 500.000 Menschen keinen Einzelanspruch auf Hilfe realisieren und bleiben auf den guten Willen der einkommensstärkeren Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft angewiesen. Seit dem Jahre 2007 ist es sogar möglich, existenzielle Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen komplett zu versagen. Arbeitsuchenden Unionsbürgerinnen und -bürgern sowie Asylsuchenden, Geduldeten und Bleibeberechtigten werden außerdem Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII gänzlich verwehrt.

Auch die nach wie vor hohe Komplexität des Leistungsrechts sowie die daraus folgende Fehleranfälligkeit und mangelnde Beratung im Verwaltungshandeln des SGB II-Bereiches erschweren die Umsetzung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Diese anhaltenden Zustände können auch einen Grund darstellen, warum Menschen ihren Anspruch auf Leistungen gar nicht erst geltend machen (sog. verdeckte Armut). Eine Existenzsicherung aber, die streitanfällig und mit hohen Zugangsvoraussetzungen behaftet ist, beschädigt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Sozialstaat. Dieses Grundvertrauen aber, so auch der Deutsche Sozialrechtsverband, ist elementar für die staatliche Verwaltung. Inzwischen wird lieber einmal mehr als zu wenig Widerspruch gegen Bescheide eingelegt.

Seit Jahren andauernde Auseinandersetzungen stehen auch dem Ziel der Arbeitsmarktintegration entgegen. Denn wer etwa in ständiger Angst um seine Wohnung lebt, wer Stromschulden langfristig über den Regelsatz ausgleicht oder wer monatelang Rechtstreitigkeiten mit dem Jobcenter führt, kann sich nicht uneingeschränkt auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz konzentrieren.

Zum vollständigen Antrag [PDF]

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