Antrag an den Bundestag: Altersarmut bekämpfen – Mit der Garantierente

Gepostet am Dienstag, den 21. Mai 2013 um 11:40 in Altersarmut,Parlamentarische Initiativen

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Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Monika Lazar, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Ulrich Schneider und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Einkommensschere zwischen arm und reich geht in unserer Gesellschaft weiter auseinander. Dies betrifft auch die Älteren. So betrug der Anteil der älteren Personen mit einem Einkommen unter der Armutsrisikogrenze im Jahr 2010 14 Prozent und war damit nur leicht unterdurchschnittlich. Wenn nicht entschieden gegengesteuert wird, geht die Schere bei den Alterseinkommen weiter auseinander. Ohne Gegenmaßnahmen werden die Altersarmut und der Bezug von Grundsicherung im Alter in den nächsten Jahren gravierend zunehmen. Noch im Jahr 2011 bezogen nur 2,6 Prozent der über 65-jährigen Grundsicherung nach dem SGB XII, doch die Tendenz ist steigend, und die Dunkelziffer der verdeckt Armen ist in dieser Gruppe höher als etwa beim Arbeitslosengeld II.

Das Zusammenwirken von dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit, unterbrochenen Erwerbsbiographien, ausgeweitetem Niedriglohnsektor, der Zunahme von Selbständigen mit geringen Einkommen sowie das sinkende Rentenniveau erhöht für eine wachsende Zahl von künftigen Rentnerinnen und Rentnern das Armutsrisiko. Besonders betroffen sind heute Personen mit unterbrochenen Versicherungsbiografien, Teilzeiterwerbstätige, Selbständige, Geringverdienende. Altersarmut ist vor allem weiblich und dies wird ohne politisches Gegensteuern auf absehbare Zeit auch so bleiben. Denn nach den bisherigen Prognosen werden Frauen, vor allem die Mütter unter ihnen, auch zukünftig nur eine geringe Rente beziehen.

Die Rentenversicherung verliert an Legitimation, wenn Menschen, die lange Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung waren, letztlich doch auf Fürsorgeleitungen angewiesen sind. Die Rentenversicherung muss zu einer solidarischen Sozialversicherung mit einem Mindestniveau weiterentwickelt werden, das vor Altersarmut schützt. Mit der Einführung der Garantierente wird das Ziel einer vor Altersarmut schützenden Mindestteilhabe umgesetzt. Die Rentenversicherung muss dabei so ausgestaltet werden, dass für langjährig Versicherte der Bezug von Grundsicherung im Normalfall vermieden wird. Die Bedingungen für den Bezug der Garantierente sind dabei so zu setzen, dass sie nicht nur von Männern, sondern gerade auch von Frauen realistisch zu erreichen sind.

Die Garantierente allein reicht jedoch nicht aus, um Altersarmut umfassend zu bekämpfen. Sie muss flankiert werden durch weitere präventive Maßnahmen in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Altersarmut ist zudem mehr als reine Einkommensarmut. Sie drückt sich u.a. auch in sozialer Vereinsamung und schlechten Wohnsituationen aus. Deswegen muss auch in diesen Bereichen angesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für eine Garantierente als Bestandteil der Rentenversicherung vorzulegen, der folgende Eckpunkte umfasst:

  1. Geringe Rentenansprüche von Rentnerinnen und Rentnern mit 30 und mehr Versicherungsjahren werden durch eine steuerfinanzierte Garantierente so aufgestockt, dass die Gesamtrente mindestens 30 Entgeltpunkte beträgt.
  2. Alle Versicherungszeiten werden als Voraussetzung für den Bezug der Garantierente anerkannt, und zwar
  3. a. Beitragszeiten, in denen Beiträge gezahlt wurden, also insbesondere bei Erwerbstätigkeit und Bezug von Arbeitslosengeld I und bis zur Abschaffung der Beitragszahlung durch die jetzige Regierungskoalition auch Arbeitslosengeld II, bei Kindererziehung und seit dem 1. April 1995 Zeiten der Pflege;
    b. Anrechnungszeiten wie Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen keine Beiträge gezahlt wurden, Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit und Nichterwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschutz;
    c. Zurechnungszeiten, also die Zeit zwischen dem Eintritt einer Erwerbsminderung und dem 60. Lebensjahr;
    d. Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. März 1995;
    e. bis zu einem Stichtag, und zwar für Geburten vor dem Eintreten des Rechtsanspruchs auf eine U3-Kinderbetreuung, werden auch die Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes bei den Mindestversicherungszeiten mitgezählt.

  4. Um einen Einstieg in eine umfassende und verlässlich vor Armut schützende soziale Rentenversicherung zu schaffen, soll die Garantierente zunächst nur für NeurentnerInnen ausgezahlt werden.
  5. Die Garantierente soll bei der gesetzlichen Rentenversicherung angesiedelt sein. Diese überprüft auf einfachen Antrag die sonstigen Alterssicherungseinkommen. Wenn es in Zukunft eine einheitliche Renteninformation über alle drei Säulen der Alterssicherung gibt, erfolgt die Aufstockung automatisch ohne Antrag.
  6. Auf die Garantierente werden alle Renten aus der ersten, zweiten und dritten Säule der Alterssicherung angerechnet. Für die eigene geförderte private und betriebliche Altersvorsorge gilt ein Selbstbehalt in Höhe von 20 Prozent.
  7. Bei Ehepaaren und eingetragenen Lebenspartnerschaften werden zur Berechnung der Garantierente die eigenen Ansprüche zusammengezählt und anschließend halbiert. Die Auszahlung der Garantierente erfolgt individuell, wobei vorrangig bei der Person mit den geringeren eigenen Ansprüchen aufgestockt wird.
  8. Zur Finanzierung wird ein steuerfinanzierter Zuschuss zur Rentenversicherung eingeführt.

Berlin, den 14. Mai 2013
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsfraktionen angekündigt, in dieser Legislaturperiode Maßnahmen gegen Altersarmut zu ergreifen. Dazu wurde ein Rentendialog mit Verbänden durchgeführt, und sogar mehrere Referentenentwürfe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt. Die Koalitionsfraktionen haben es jedoch in den letzten vier Jahren nicht geschafft, sich auf ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung der Altersarmut zu einigen. Im Gegenteil hat die Bundesregierung durch die Streichung der Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld II-Beziehende zu einer Verschärfung der absehbar ansteigenden Altersarmut beigetragen.

Nach über siebenjähriger Unions-geführter Regierung wird den Frauen nun im Jahr der Bundestagswahl eine höhere „Mütterrente“ versprochen: Eine nachhaltige und solidarische Finanzierung hat sie dafür nicht. Stattdessen soll die Mütterrente aus den Rücklagen der Rentenversicherung bezahlt werden, die dann binnen weniger Jahre komplett aufgebraucht sind. Drohende Altersarmut ist aber eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Deswegen braucht es hier eine Steuerfinanzierung. Die Union will den Notgroschen der Rentenversicherung für etwas ausgeben, was die meisten von Altersarmut bedrohten Frauen nicht vor dem Bezug der Grundsicherung bewahren wird.

Maßnahmen gegen Altersarmut müssen frühzeitig ergriffen werden, um langfristig eine Wirkung zu entfalten. Die Grüne Garantierente ist konzeptionell ausgereift, nachhaltig finanzierbar und kann sofort umgesetzt werden.

Die Rentenbiographien derjenigen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, sind schon geschrieben. Präventive Maßnahmen allein reichen deshalb nicht mehr aus, um ihre Situation zu verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie als langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung im Alter in der Regel nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein werden. Die Bedingungen für den Bezug der Garantierente müssen dabei so gesetzt werden, dass sie nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen realistisch zu erreichen sind.

Ein großer Teil der Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in die gesetzliche Rente. Viele fragen sich, ob sie in der gesetzlichen Rentenversicherung noch ausreichend Rentenansprüche erwerben können, um im Alter über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen. Dies hat zur Folge, dass sowohl die Bereitschaft, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen, als auch zusätzlich privat vorzusorgen, abnimmt. Die Säule der privaten Vorsorge ist aber angesichts des sinkenden Rentenniveaus, welches die gesetzliche Rentenversicherung absichern kann, unabdingbar. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Rentenversicherung so ausgestaltet wird, dass sie vor Armut schützt und sich eigene Beiträge lohnen.

Verdeckte Armut im Alter ist nicht hinnehmbar. Alle, die einen Anspruch auf Leistungen haben, sollten diesen auch in Anspruch nehmen. Leistungen, die auf die Bekämpfung von Altersarmut abzielen, müssen deswegen auch so ausgestaltet werden, dass dies möglich und realistisch ist. Ein Erfolg der unter Rot-Grün eingeführten Grundsicherung für Ältere und Erwerbsunfähige war, dass der Anteil der verdeckt Armen im Alter zurückgegangen ist. Nach einer aktuellen Studie der Armutsforscherin Irene Becker kommen aber immer noch auf eine Person, die Grundsicherung im Alter bezieht, zwei, die zwar einen Anspruch hätten, diesen aber nicht wahrnehmen. Auch deswegen muss die Garantierente eingeführt werden.

Der Steuerzuschuss zur Finanzierung der Garantierente beträgt in den ersten Jahren deutlich weniger als eine Milliarde Euro. Ohne weitere Maßnahmen könnte der Zuschuss bis 2030 auf bis zu fünf Milliarden Euro ansteigen. Der Anstieg kann und sollte durch verschiedene Maßnahmen, wie die Weiterentwicklung zu einer Bürgerversicherung sowie die Wiedereinführung von Mindestrentenbeiträgen für Arbeitslose, mittel- und langfristig begrenzt werden, weil durch diese Maßnahmen zusätzliche eigene Ansprüche aufgebaut werden. Außerdem wird der Anstieg der Kosten der Garantierente durch weitere präventive Maßnahmen insbesondere in der Arbeitsmarktpolitik – wie der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes – deutlich reduziert.

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