GRÜNER NEUAUFBRUCH – grün.links.libertär
“Ich halte es für richtig, auf dem linken Flügel der bürgerlichen Demokratie zu bleiben” – Friedrich Naumann.
Nachdem sich die Grünen nach aufwühlender Gründungsphase auf ihre vier Grundsäulen – ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei -verständigt hatten, standen damit Aufgabe und Identitätskern der Partei fest. Von Anfang an war klar, dass die Ziele und gesellschaftlichen Veränderungsansprüche nur langfristig erreicht werden konnten. Daher war es unabdingbar, dass die Grünen eine neue Organisationsform für ihre Partei erfinden mussten, die geeignet war, Grüne Grundwerte über die Generationen hinweg zu wahren und die Ziele auch über längere Zeiträume zu verfolgen.
Wenn aber in diesen Wochen der Eindruck entstünde, wir arbeiteten uns lieber mit lähmenden Flügelauseinandersetzungen an uns selbst ab und vermieden gleichzeitig allzu viel Unterscheidbarkeit von der Bundesregierung, dann könnten die nächsten Bundestagswahlen in der Tat schon im Herbst 2014 entschieden werden. Es ist zu wenig, sich wenige Monate nach einer Bundestagswahl auf die Bündnisoptionen im Jahre 2017 selbst zu beschränken. Genau das ist aber in diesen Wochen die Wahrnehmung von uns Grünen.
Spannend waren wir Grünen hingegen immer, wenn wir Antworten auf drängende Fragen der Gegenwart und Zukunft gegeben haben und neue Ideenentwickelt haben. Dies macht eine Konzept- und Programmpartei aus und eben auch unterscheidbar von Scharnierparteien wie der zurecht niedergehenden FDP, die immer bestenfalls gestalten, aber nie verändern können.
Seien wir also mutig, denken wir wieder neu und anders – füllen wir die linkslibertäre Lücke im bundesdeutschen Parteienspektrum progressiv aus.
Dies beinhaltet für uns programmatisch etwa die Überwindung der sozialen Spaltung und des autoritären Sozialstaates ebenso, wie ein weit entschlosseneres Eintreten für unserer Freiheits-, Grund- und BürgerInnenrechte, womit wir auch an unsere Vereinigung mit Bündnis 90 erinnern, als auch eine Rückkehr zur Basisdemokratie und den Prinzipien der Entspannungspolitik und der Gewaltfreiheit.
Wir gehen sogar noch weiter. Wir möchten und werden nicht nur die Grünen Grundsäulen renovieren, wir wollen uns ebenso an die positiven und progressiven Elemente des Weimarer und bundesrepublikanischen Sozial- und Bürgerrechtsliberalismus erinnern.
Denn historisch hat es in den pazifistischen, sozialen, feministischen und demokratischen Traditionen der Weimarer Deutschen Demokratischen Partei (DDP) in Teilen ebenso Vorläufer gegeben, wie in den Freiburger Thesen der Liberalen. Die FDP hat diese Tradition jedoch bereits in den 80er Jahren verlassen. Dabei wollen wir die Grünen heute auch mahnend daran erinnern, dass deren historische Fehler einer Öffnung nach Rechts und die daraus folgenden falschen Bündnispolitiken heute nicht noch einmal begangen werden dürfen.
Das heißt für uns auch, dass wir uns nicht dem kapitalistischen Albtraum unterwerfen, aber auch keinen sozialistischen Träumereien nachjagen. Freiheit und Menschenwürde durch Selbstbestimmung für möglichst alle Menschen, die Achtung vor dem Leben und der Frieden als absoluter Wert schließen dies grundsätzlich aus.
Gesellschaftliche Liberalität, Toleranz, Emanzipation und Freiheit sind für uns nicht die Summe von Identitäts- und Klientelpolitiken, nicht Interessenvertretung von Milieus, Gemeinschaften oder Gruppen, sondern speisen sich aus unserem liberalen Grundrechts-, Verfassungs- und Staatsverständnis. Für uns darf das Bürgerliche darum auch keine Chiffre sein, um eine Rechtsverschiebung der Partei zu rechtfertigen. Daher sagen wir jetzt: Keinen Schritt mehr nach rechts!
Ebenso stellen wir uns gegen den neoliberalen Mainstream in der Sozial-,Wirtschafts- und Steuerpolitik wie gegen den neokonservativen Mainstream in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik, der auch in Teilen der Partei immer noch aufscheint.
Für Europa etwa streben wir die Überwindung des die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Demokratie missachtenden Elitenmodells durch die Einberufung eines Europäischen BürgerInnenverfassungskonvents an. Wir fordern zudem eine Europäische Friedenskonferenz sowie die Konzeption einer Europäischen Friedensordnung jenseits der NATO unter Einbeziehung Russlands. Wir werden in Europa mit gleichgesinnten Grünen, aber durchaus auch Linkslibertären und Linksliberalen in Kontakt treten.
Ein Europäischer Verbund Erneuerbarer Energien jenseits von Kohle, Atom und Fracking-Gas muss ebenso entwickelt werden, wie gemeinsame Sozial- und Steuerstandards jenseits des vorherrschenden Marktfetischismus sowie eine integrierende und auf Ausgleich ausgerichtete Europäische Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik.
Es geht jetzt um ein Europa, welches als Europa der Bürgerinnen und Bürger seine wirtschaftliche, soziale, demokratische, ökologische und friedenspolitische Souveränität erlangen muss.
Wir treten für einen vorbehaltlosen Kulturdialog mit anderen Ländern und Kulturkreisen ein. Regime Change-Ideologien und missionarischen Menschen- und BürgerInnenrechtsbellizismus benennen wir ebenso offen wie wir diese ablehnen. Zivilisierung ist heute nicht mehr durch Revolution, sondern nur durch gesellschaftliche Evolution zu erreichen. Wir sind keine Partner von Nationalisten jedweder Couleur.
In der Umwelt- und Verbraucherpolitik gilt für uns das Prinzip “Mündigkeit statt Bevormundung”. Es gilt, nicht den Menschen, sondern die Wirtschaft ökologisch umzubauen. Das Recht auf eine menschenwürdige Umwelt ist dabei für uns ein Grundrecht. Darum geht Umwelt- und VerbraucherInnenschutz vor Gewinnstreben und Eigennutz. Da die Kosten des Umwelt- und VerbraucherInnenschutzes in erster Linie Kosten der Produktion sind, gilt zuförderst das Verursacherprinzip. Dem bequemen Selbstbetrug der vermeintlichen Einpreisung von Umweltkosten in das kapitalistische System sitzen wir darum nicht auf. Unsere Wirtschaft braucht ein klares sozial-ökologisches Regel- und Rahmenwerk für mehr Effizienz, Suffizienz und Konsistenz und eine ehrliche Diskussion über unseren Lebensstil und keinen auf Einzelne zielenden Öko-Moralismus. Dabei ist der Markt zuerst ein Instrument zur Machtminimierung in der Wirtschaft und kein Selbstzweck.
Für uns ist das Recht zum Schutz derjenigen da, die in unseren ökonomischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen sonst keinen Schutz haben. Darum sind das Ordnungsrecht und die Ordnungspolitik zentrale Hebel zum sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft. Machtpolitisch kommt dies einem sozial-ökologischen Interessenausgleich und damit einem gesellschaftlichen und politischen Mitte-Unten-Bündnis gleich.
Wir wollen daher auch wieder die ordoliberale Tradition aufgreifen, unsere Machtwirtschaft überwinden und Konzerne und Konzernverbünde entflechten, Geschäfts- von Investmentbanken trennen, sowie das Recht zur Geldschöpfung den Privatbanken entziehen und in öffentlich-rechtliche Hand geben.
Doch nicht nur der Vermachtung der Konzern- und Bankenökonomie wollen wir entschlossener entgegentreten, auch die Vermögenskonzentration in unseren westlichen Industriegesellschaften hat mittlerweile eine die Demokratie und die Freiheit zerstörende Form angenommen. Darum wollen wir mittel- und langfristig eine breitere Vermögensstreuung erreichen. In einem ersten Schritt halten wir daher an einer einmaligen Vermögensabgabe fest. Dem muss im zweiten Schritt eine breite Verteilung der Vermögenszuwächse durch die Einführung einer neu zu konzipierenden Erbschaftsabgabe folgen. Wir werden hierfür das Konzept der Freiburger Thesen der Liberalen wieder aufgreifen.
Ebenso streben wir ein Stufenmodell zur Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens an, wie es von Ralf Dahrendorf über Oskar Negt bis hin zu Ulrich Beck längst eingefordert wurde und wird. Die Diversifizierung des Arbeitslebens in unseren Gesellschaften verlangt eine Abkehr von sozialdemokratischen und konservativenSozialstaatsmodellen und eine Universalisierung der sozialen Sicherungen. Hierfür bereits in der Partei entwickelte Modelle werden wir wieder aufgreifen. Dafür ist zunächst und sobald als möglich ein Grundeinkommen im Alter einzuführen, das als Sockelrente das entwürdigende Sozialhilfeprinzip der Grundsicherung im Alter ersetzt. Die Rentenprivatisierung ist zurückzuführen, die BürgerInnenversicherung stellt auch für die Rente unser Grundmodell dar.
Wir verstehen den Umbau unserer Industriegesellschaft tatsächlich als sozial-ökologischen Umbau, bis hin zur Erneuerung der Finanzierungsbasis unseres Gemeinwesens. Wer dagegen dem Kapitalismus nicht mehr widerstehen und der Unterfinanzierung der öffentlichen Hand nicht mehr entgegentreten will, der muss unsere Parlamente beinahe zwangsläufig an die Kette sogenannter Schuldenbremsen legen. Dies lehnen wir ebenso ab, wie wir die fortlaufende Ökonomisierung von Schule und Universität ablehnen. G8 und Bologna sind der falsche Weg.
Die Früchte unserer wirtschaftlichen Tätigkeiten müssen allen zu Gute kommen, sie liegen nicht im zum Selbstzweck gewordenen Wachstums- und ökonomischen Kosten-Nutzen-Wahn, sondern in neuen Freiheitsgraden, in Bildung, Kultur, Freizeit, in einer kinderwürdigen Gesellschaft, in einem die Menschenwürde für alle Menschen garantierenden Arbeitsleben, das uns nicht auf Wirtschaftsuntertanen reduziert, sowie in einem menschenwürdigen Alter.
Wir sind und bleiben Grüne. Dass wir innerhalb unserer Partei diesen Neuaufbruch gestalten müssen und werden, möchten wir als Bekenntnis zur Möglichkeit ihrer grundsätzlichen inhaltlichen und strategischen Erneuerungsfähigkeit verstanden wissen. Wir laden darum alle ein, die hier dargelegten Werte, Ziele, Ideen und Traditionen gemeinsam weiter zu entwickeln, an ihnen und an uns selbst zu arbeiten.
Wir brauchen wieder einen Horizont, der nicht nur auf die nächste Regierungsoption reduziert ist. Doch hoffen wir, noch frühzeitig genug aufzubrechen, bevor andere ihr endgültiges Ankommen im Mainstream vollendet haben werden. Denn so werden wir der sozialen Spaltung, dem Abbau unserer BürgerInnenrechte, der Umwelt- und Naturzerstörung, der ökonomischen Vermachtung und der Rückkehr bellizistischer Denkweisen nicht mehr genug entgegen zu setzen haben.
Wir wollen daher nicht Anschlussfähigkeit an andere Parteien, wir wollen nicht Stützrad für andere und am Ende abhängiges Scharnier für alle sein, sondern Anschlussfähigkeit an die Gesellschaft wiederherstellen, an ihre progressiven Elemente, an diejenigen, die sich auch diesen fatalen Fehlentwicklungen noch mutig widersetzen. So definieren wir Eigenständigkeit.
Unser Wirken in der Partei und deren Gremien im Rahmen unseres Grundsatzprogramms bestimmen wir selbst. Dabei achten wir gemäß unserer Grundüberzeugungen nichts mehr als andere Meinungen. Denn Freiheit ist immer auch die Freiheit des/der anders Denkenden. Dies beanspruchen wir jedoch auch für uns selbst. Daher haben wir als allerersten Schritt bereits den Petra Kelly-Kreis zur Wiederbelebung Grüner Entspannungs- und Friedensstrategien ins Leben gerufen.
August 2014
ErstunterzeichnerInnen:
Hans Christian Markert (MdL, Nordrhein-Westfalen), Robert Zion (KV Gelsenkirchen), Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB), Rasmus Andresen (MdL, Schleswig-Holstein, Mitglied des Bundesparteirats), Corinna Rüffer (MdB), Dr. Ludger Volmer (KV Gelsenkirchen), Silke Gajek (MdL, Mecklenburg-Vorpommern, Vizepräsidentin Landtags), Ali Bas (MdL, Nordrhein-Westfalen), Sabine Niels (MdL, Brandenburg), Rüdiger Bender (KV Erfurt), Andrea Schwarz (Parteirat Baden-Württemberg), Liam Harrold (KV Hannover), Andrea Asch (MdL, Nordrhein-Westfalen), Sebastian Lüdecke (Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt), Cornelia Lüddemann (MdL, Sachsen-Anhalt), Carsten Meyer (MdL, Thüringen), Hans-Jochen Tschiche (Gründungsmitglied Neues Forum, Sachsen-Anhalt), Herbert Goldmann (MdL, Nordrhein-Westfalen), Maik Babenhauserheide (Mitglied des Landesvorstands Nordrhein-Westfalen), Jörg Rupp (Parteirat Baden-Württemberg), Beate Wiechmann (Mitglied des Landesvorstands, Thüringen).
Grüne, die diesen Aufruf unterstützen möchten, können dies per E-Mail an (Robert Zion) oder auch auf Facebook per persönlicher Nachricht (PM) unter Angabe des Namens, Kreisverbandes und ggf. Amtes oder Mandats auf der Seite: https://www.facebook.com/gruen.links.libertaer
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