Aufgabe für die gesamte Gesellschaft – Wie wir unsere Jugend vor Radikalisierung und Salafismus schützen können

Gepostet am Mittwoch, den 11. Februar 2015 um 18:40 in Verschiedenes

Bericht zu einer Veranstaltung am 9.2. in Offenbach (von Tobias Dondelinger)

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Seit den ersten Berichten, dass auch junge Menschen aus Offenbach sich dem sogenannten IS anschließen und in Syrien oder Irak in den heiligen Krieg ziehen, bewegt mich die Frage, was läuft da eigentlich schief bei uns und wie kann verhindert werden, dass es soweit kommt“, so leitete Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn die von ihm moderierte und organisierte Podiumsdiskussion ein, die am 9.2. unter dem Titel „Offenbach deine Jugend – Wie können wir unsere Jugendlichen vor Radikalisierung und Salafismus schützen?“ über 70 Interessierte in die Akademie für interdisziplinäre Prozesse lockte.

Wie nah Radikalisierung und Jihadismus an uns herangerückt sind und wie sehr das Thema viele berührt, zeigten die kenntnisreichen Schilderungen von Irene Mihalic, der Innenpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Hakan Celik, Islamwissenschaftler und Mitarbeiter des Violence Prevention Network (VPN) in Frankfurt und Hanif Aroji, dem Vorsitzenden der islamischen Hochschulgemeinde Frankfurt.

Im Zentrum der Diskussion stand die Frage nach den Ursachen, aus denen sich junge Menschen mitten in unserer Gesellschaft häufig in kürzester Zeit radikalisieren und in den heiligen Krieg ziehen. Folglich wurde auch Lösungen gesucht, wie man diesem Problem jenseits rein repressiver Maßnahmen gegenübertreten kann. Die unterschiedlichen Perspektiven der drei DiskutantInnen auf das Problemfeld halfen dabei, ein besseres Verständnis für das vielschichtige Phänomen zu gewinnen. Die Komplexität zeigt sich sowohl bei den betroffenen Personengruppen, die weit über gängige Klischees von perspektivlosen männlichen Jugendlichen muslimischen Glaubens hinausgehen. So seien vermehrt auch Frauen betroffen und Konvertiten machten einen beträchtlichen Anteil der Gruppe aus. Auch die individuellen wie die gesellschaftlichen Ursachen für Radikalisierung sind mannigfaltig und liegen nach Ansicht des Podiums nicht in der Religion, sondern im Zurückgewiesen Sein durch die Gesellschaft, in Diskriminierung und Ausgrenzungserfahrungen.

Entsprechend umfangreich muss der Werkzeugkoffer ausfallen, mit dem Politik und Gesellschaft dem Phänomen gegenübertreten. Prävention, Intervention und Repression müssen ineinandergreifen, um Gefährdeten und Betroffenen entsprechend ihren individuellen Anforderungen helfen zu können, darin waren sich alle Diskutanten einig. „Das was im Bereich Repression sinnvoll ist, das haben wir schon“, erklärte dazu Irene Mihalic. „Wenn die Bundesregierung nun darüber diskutiert, schon die Absicht zur Ausreise mit dschihadistischen Zielen unter Strafe zu stellen, geht das zu weit. Es kann die Strafverfolgungsbehörden an ihre Grenzen bringen und sich auch für präventive Maßnahmen als kontraproduktiv erweisen“. Etwas Optimierungsbedarf sieht sie im Bereich der Intervention, hohen Nachholbedarf bei der Prävention – das koste aber Geld und sei somit weniger günstig als rechtliche Maßnahmen, so ihr Vorwurf an die Bundesregierung.

Hakan Celik der präventiv mit Jugendlichen arbeitet und so versucht, Radikalisierung frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, fordert auch Augenmaß: „Wenn ein Jugendlicher von vierzehn, fünfzehn Jahren etwas Dummes und Undurchdachtes äußert und dann wird gleich die Polizei gerufen und der Staatsschutz steht vor der Tür: Sowas führt sie oft erst recht in eine schlechte Richtung. Man muss doch erst mal mit den Jugendlichen reden und erfahren, wo das herkommt und was sie wollen. Dann kann man sehen was zu tun ist.“

Generell sei die ganze Gesellschaft gefragt: Erfahrungen wie Ausgrenzung oder Abwertung stünden häufig am Anfang von Radikalisierung – und eben nicht der Glaube. Daher dürfte die Aufgabe nicht allein den muslimischen Gemeinden zugeschoben werden, die aber natürlich eine zentrale Rolle spielten und sich endlich bewusst werden müssten, dass es beispielsweise notwendig sei, ihren Jugendlichen Angebote in deutscher Sprache zu machen.

Dass es sich gerade bei der Prävention um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele, machte Hanif Aroji am Beispiel der zahlreichen Konvertiten, die sich radikalisieren, plastisch: „Die waren in keiner muslimischen Gemeinde, sondern sind gleich bei den Rattenfängern und gehen dann nach Syrien. Wo sollen denn da die Gemeinden eingreifen?“ Den Erfolg salafistischer Gruppen, die sich vorrangig an Jugendliche wenden, erklärt er einerseits damit, dass sie – anders als viele Imame in deutschen Moscheen – die Sprache der jungen Menschen sprächen, andererseits füllten sie Lücken, die der Staat ließe: „Das sind richtige Streetworker. Die kommen erstmal gar nicht mit Religion, sondern hören den jungen Leuten zu. Das andere kommt dann, wenn Vertrauen da ist“.

Am Ende der Diskussion war den TeilnehmerInnen auf dem Podium wie den Gästen klar: Wir stehen hier nicht vor einem einfachen Problem. Und auch einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Dass die Gesamtgesellschaft in der Verantwortung steht, verdeutlicht die Vielzahl an Ansatzpunkten, an denen Prävention stattfinden muss: in der Familie, in der Schule, auf der Straße. Letztlich sind also Politik, muslimische Gemeinden und Zivilgesellschaft gefragt, gemeinsam das Klima im Land so zu verändern, dass unsere jungen Menschen nicht mehr so leicht Opfer von Rattenfängern werden.

Am 11.2. erschien außerdem ein Artikel in der Offenbach Post:
https://www.op-online.de/lokales/nachrichten/offenbach/defizite-praevention-gruenen-veranstaltung-religioes-motivierter-radikalismus-jugendliche-4722373.html

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